Drackendorf den .
Auch ohne Ihre lieben Zeilen, bester Schelling! hätten Sie in diesen Tagen von mir gehört, meine Theilnahme regte sich zu lebhaft, als daß ich hätte schweigen können, und wenn sie aus dem Herzen kommt wie die meine, ist ihr ein freundlicher Empfang bey Ihnen gewiß. Das Andenken der Lieben schlummert wohl nie; aber das Wiederkehren jener Tage und Stunden, die in ihrer Erinnerung fast noch zerstörender wirken, als in ihrer Gegenwart, über die uns eine nie versiegende Hoffnung und die Nothwendigkeit eines besonnenen Geistes leichter weghelfen, hat mich in Ihrer Seele aufs neue ergriffen. Gern wäre ich Ihnen in diesen Augenblicken nah gewesen, und wenn die innigste Theilnehmung solche Empfindungen zu lindern im Stande ist, so hätte es Ihnen wohl thun sollen. Auch heute fühle ich mich zu Ihnen hingezogen, lieber Schelling! auch mir ist heilig, wie er es Ihnen ist, drum wende ich mich am liebsten zu dem entfernten Freund, denn auch sein Herz ist heute dort, wo das meine sich mit Sehnen hinneigt.
Eine liebe Aussicht eröffnen Sie uns in Ihren Brief, bester Schelling! Ich kann Ihnen nicht ausdrücken wie mich die Gewißheit erfreut, daß wir Sie sehn sollen; oft kann ich mir die Möglichkeit noch gar nicht denken, aber wir haben Ihr Wort und darauf baue ich wie auf Felsen. Daß es uns diesen schon so wohl werden sollte, darf ich wohl nicht glauben; so eine frohe Hoffnung läßt uns eben den trüben , den ich sonst von Herzen hasse, am besten bestehn, man sieht mit Lust immer dem entgegen, und zählt Wochen und Tage bis er erscheint, denn diesmal bringt er nicht nur Blumen, Blüthen und Gesänge, er führt uns auch dem lieben Freund zu, und mit ihm zwiefache Freude in unser Herz. Aber das glauben Sie nur, bester Schelling! wenn irgend etwas Ihren Plan zu der größern Reise im Wege treten sollte, wir gern den Thüringerwald um diesem Preis zurüklegen werden, und nicht anstehn Ihnen bis Cronach entgegen zu kommen.
Gar sehr lieb ist es mir, Sie fern von der Stadt in ländlicher Einsamkeit, und schönen Umgebungen zu wissen, schon 1000 mal habe ich Sie in Geist dort begrüßt, viel besser unter den wilden Thieren des Waldes zu wohnen als so einsam im Geräusch der Hauptstadt, nur seyn Sie nicht zu fleißig, um auch Zeit zu finden Ihrer Freunde zu gedenken, die zu denen gehören, die sich nur am ruhigen Genuß des Daseyns erfreuen können, je stiller und friedlicher, je beßer! Sie sehn, ich bin auch noch auf dem Lande, und so vergnügt hier, daß ich kein Verlangen nach der Stadt fühle. Das herrliche Wetter, die liebliche Gegend, die ganze Freiheit unsrer ländlichen Lebensweise und mehr wie alles dies – der treue Freund den ich im Herzen trage – mein heiterer Sinn lassen mich in jeden durchlebten Tag einen neuen Reiz finden, und der Augenblick wo ich das liebe Thal wieder verlassen soll, wird vor mir stehn, ich weiß nicht wie. Der alte Herr war diesmal nicht lange in unsrer Nähe und ziemlich griesgrämig wie man sagt, uns hat er sich zwar nicht so gezeigt, sondern immer wie billig seine Sonntagslaune angelegt; er pflegt aber auch oft zu sagen: »Deine Gegenwart liebes Kind verjüngt mich um 20 Jahr«. und das ist immer Musik für mein Ohr. Die Herausgabe des W˖[ilhelm] M˖[eisters] wird vor der Hand noch unterbleiben, dagegen erscheint der erste Theil seiner Biographie. Mit dem Titel hat er sich vor gesehn, und wie es hieß Zur Farbenlehre so heißt es diesmal: Aus meinem Leben, ja vielleicht mit dem Zusatz – Wahrheit und Dichtung. Den zweyten Theil bekommen wir und endigt mit dem Zeitpunct, wo er nach Weimar kömmt, dann schließt das Werk bis auch er einmal nicht mehr seyn wird. Daß uns die folgenden Theile noch lange vorenthalten blieben! In die ersten 20 Bogen bin ich so glücklich gewesen zu blicken, und nun erst recht begierig auf das Nächste. Es ist eine Grazie in der Erzählung der unbedeutendesten Zufälle die nur aus Goethes Feder fließen kann und die ein entzücken muß; oft hätte ich ihn in der Freude meines Herzens in die Arme schließen mögen, als die einzige Äußerung die uns Menschen herzliche Empfindungen, als wirkliche aus dem Herzen kommende, nur einiger maßen zur Gnüge ausdrückt. Mit dem kleinsten Vorfällen seiner Kindheit wird man nach und nach vertraut, und es ereigenet sich alles, möcht ich sagen fast sichtbar vor unseren Augen daß man eben sich zuletzt einbildet, man hätte es mit ihm erlebt. Wenn er sich mir bis jetzt bald als Lehrer und Vater bald als Freund und Liebhaber zeigte, so empfand ich nun eine eigene Freude, ihn auch als Kind als Knabe vor mir zu sehn. Das Ganze ist fein angelegt und motivirt, spätere Denk und Handlungsweise werden schon früh vorbereitet.
Und nun leben Sie wohl, bester Schelling! Mutter und Schwestern grüßen herzlich, sie haben sich mit mir über Ihren Brief gefreut und danken wie ich. Genießen Sie nach Lust der sonnigen Tage, mit denen uns der Himmel noch begünstigt, im grünen Wald und ehe sich dieser ganz entblättert, lassen Sie wieder ein Wörtchen von sich hören. Oft versetze ich mich in Gedanken zu Ihnen am hohen Ufer am rauschenden Strom, möchte Ihnen jede Welle erzählen wie nah Ihnen meine Seele ist.
Pauline.