München den .
Es ist mir unmöglich, Herrn Hofrath von Breyer reisen zu lassen, ohne sein Anerbieten zu benutzen und mich in Ihr gütiges Andenken, verehrtester Freund, wieder einmal zurückzurufen. Welchen Werth ich darauf setze, einen Platz in Ihrer Erinnerung zu haben, wissen Sie längst; wie erfreulich mir darum das Schreiben war, das Sie mir durch meine gute Mutter schickten, brauche ich nicht zu sagen. Ich habe über manches Glück genossen; keinen kleinen Theil daran hatte die Anwesenheit meiner Mutter, die wie ein guter Geist manche Sorgen von mir und meiner Frau hinweggenommen, in deren Gegenwart ich freylich den Verlust meines unvergeßlichen Vaters erst ganz fühlen, aber doch auch wieder mehr verschmerzen gelernt als zuvor. Unser Zusammenseyn war bis jetzt durch nichts gestört; zum Verwundern hat sich die alte Frau an das hiesige Clima gewöhnt und an Kräften merklich zugenommen. Dieß hat mir auch den Muth gegeben, sie um einen längeren Aufenthalt anzusprechen, eine Bitte, die sie mit der größten Bereitwilligkeit zugestanden. Ich erkenne in dieser Fügung eine für mich gütig sorgende Vorsehung, welche mir diese treue Mutter zur Hülfe und zum Trost in einer Zeit gönnt, wo ich jene gewiß, diesen vielleicht doch öfters, nöthig haben werde, indem die erste meiner Frau im kommenden Winter bevorsteht. – Dieß von mir und dem was mich angeht, weil ich Ihre gütige Theilnahme auch an meinem Ergehen kenne.
Alle Geister und Herzen sind jetzt voll von der großen wunderähnlichen Conversio rerum, die sich in den letzten Monaten ereignet. Es ist ein Gefühl an das man sich noch gar nicht recht gewöhnen kann. Seit dem Unglück Deutschlands habe ich erst die Propheten recht verstehen lernen; jetzt lerne ich fühlen, was es heißt, aus der Gefangenschaft und mehr als babylonischen Knechtschaft erlöst zu werden. Die eingetretene Zerstörung der feindlichen Macht, die Auflösung, deren vollständige Resultate wir noch nicht einmal kennen, scheint in gar keinem Verhältniß mit den Niederlagen; diese Zerstörung kommt von innen durch einen eigentlichen Verwesungs- und Putrefactionsproceß. Moll’s Zeitrechnung wird jetzt wohl einige Modification erleiden müssen, ob ich gleich immer glaube, daß sein Ende noch nicht so nah ist; verstehe ich etwas von dem wunderbaren Gang der Entwicklung, so wird er noch aufgespart; wenn alle seine Helfershelfer abgegangen sind, wird er noch leben, um den Kelch der Demüthigung bis auf die Hefen auszuleeren. – Das Benehmen im gegenwärtigen Krieg scheint auf eine noch tiefere Depravation zu deuten; ich glaube seine ganze Energie hat nicht wie man ihm zutraute, in einem blinden Fatalism, der doch immer noch etwas in gewiss er Art Erhabenes und Vernunftartiges hat, sondern in bloßem Casualismus, einer Vergötterung des Zufalls bestanden; seine Überzeugung scheint mir jetzt die gewesen zu seyn, daß selbst nicht Verstand, und Kunst, noch weniger freylich Moralität und ein höherer Wille über das Gelingen der Unternehmungen entscheiden, sondern reiner Zufall, der das Tollste gelingen macht, wenn er günstig ist. – Ein guter Geist scheint bis jetzt auch über den politischen Verhandlungen zu walten; möge er bleiben! Deutschland hat es hoch nöthig; ja ein Gesetzgeber der vom Himmel käme, wäre zu wünschen, um den Deutschen (da das Alte einmal nicht wohl wiederkommen kann) die Verfassung zu geben, die zu ihrem daurenden Glücke nothwendig ist. – Wie es bey uns steht, wird Ihnen Herr H[of]R˖[ath] von Br˖[eyer] mündlich sagen können.
Die reinsten und innigsten Wünsche für mein besondres, hochgeliebtes Vaterland erwachen bey dieser Veranlassung in meiner Brust. Doch gewiß, es wird gerettet werden, mit all’ den Keimen des Guten, die selbst in der bösen Zeit noch erhalten, und wenigstens von einzelnen treuen Herzen gepflegt worden sind. Die Trefflichkeit wohlhergebrachter Anstalten, die Tüchtigkeit und der herrliche Sinn einzelner Patrioten, worunter ich Sie mit ganz besondrer Empfindung nenne, ist Ursache, daß wenigstens das Volk, die Nation, viel wenigere Schritte zurückzunehmen hat, um sich wieder ganz im Rechten und Guten zu befinden, als andere Völker.
Wegen der theol˖[ogischen] Lehrstelle in Tübingen scheint es noch immer anzustehen; ich schließe daraus, daß der gute Köstlin keine entschiednen Aussichten hat. Ich glaube zwar, wie Sie bemerken, daß er während seiner Hofmeisterstelle die Theologie ziemlich
Was meine literarischen Arbeiten betrifft, (denn ich weiß, daß Sie daran einigen Theil nehmen), so warten die Weltalter auch auf die bessere Zeit. In diesem Jahr voll Krieg, Sturm und Unruhe, wollte ich sie nicht dem offnen Meer preisgeben; im Jahr wird man empfänglicher für diese Ideen sein. Dann werden sie aber auch gewiß nicht länger zurückgehalten.
Ich kann nicht schließen, ohne Sie zu bitten, daß Sie mich Herrn Superint˖[endenten] Riegern auf’s Angelegentlichste empfehlen und mich entschuldigen, daß ich durch diese Gelegenheit nicht gleichfalls danke für die mir sehr erfreulich gewesene Lektüre seiner Christologischen Abhandlung; die Zeit will es jetzt nicht erlauben, aber ich werde meine Schuldigkeit nachholen. Ich nehme den innigsten Antheil an der Freude die ihm durch die, so viel ich urtheilen kann gewiß glückliche und non sine numine geschlossene Verbindung seiner J[un]gf[e]r˖ Tochter zutheil werden wird; auch meine schwachen Wünsche begleiten sie in dieß neue Verhältniß, in dem ihr die Vorsehung all’ das Glück gewähren wird, dessen sie durch Geist und Herz so würdig ist.
Vielleicht daß es mir im kommenden oder so gut wird, meine gute Mutter hinaus zu begleiten. Dann freue ich mich insbesondre auch mit Ihnen wieder reden zu können von Angesicht zu Angesicht. Inzwischen erhalte Sie Gott der guten und gerechten Sache, der treu geblieben zu seyn in allen Umständen jetzt doppelte Freude bringt, da die Phantome der falschen Weisheit, wie die Ausgeburten der Hölle, zerstieben. Fuit!
Ich bin und bleibe mit der treuesten Verehrung unverändert
Ihr
G[an]z ergebner
Schelling.