Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Schwer liegt auf mir, indem ich die Feder ergreife, Ihnen, hochzuverehrender Herr und Freund, zu schreiben, das Gefühl fast unverantwortlicher Nachläßigkeit, da ich den Ihnen in doppelter Hinsicht schuldigen großen Dank so lange verzögert habe. Rechnen Sie immer einen Theil der Schuld auf das beschämende Gefühl, in Freundschafts-Erweisungen Ihnen soweit nachstehen, und die Ehre, welche Sie mir durch Zueignung Ihres Proclus erzeigt, so weit mehr Ihrer besonderen Güte für mich, als meinen Verdiensten beymessen zu müssen. Im lebhaften Gefühl des Werthes einer so ausgezeichnet freundschaftlichen und wollwollenden Gesinnung, könnte es mir, bey der Erwähnung Ihrer Bekanntschaft mit unsrem ebenso liebens- als verehrungswürdigen Könige, schmerzlich fallen, zu denken, daß darinn eine Möglichkeit geblieben war, mit Ihnen noch an demselben Orte, ja an derselben Anstalt vereiniget zu werden – eine Hoffnung, mit der ich mir früher eine Zeitlang insofern wirklich schmeichelte, als unser (in mancher Hinsicht verkannter) damaliger Minister Graf Montgelas, ein eifriger und verstehender Leser Ihrer Symbolik, mehr als Einmal äußerte, welche Zierde ein Mann Ihrer Art für unsre Akademie seyn würde, und die ernstliche Absicht zu haben schien, Sie noch für diese Anstalt zu gewinnen. Das hätte dann freylich auch meinem Leben in München eine andre Wendung geben können; und doch weiß ich nicht, ob ich jetzt noch wünschen sollte, es wäre geschehen, da ich fürchte, daß Ihnen Clima, Natur und litterarische Umgebung vielleicht so wenig, als mir zugesagt haben würde. Dürfte nur unsre unberühmte, aber in andrer Hinsicht wahrlich nicht reizlose, vielmehr sehr angenehme Universität zu einem Mann Ihrer Art sich Hoffnung machen, dann wollte ich mich lieber einem solchen Gedanken überlassen; denn ich darf vielleicht nicht für mich bloß sagen: Tecum vivere amem, sondern, wenn ich nach dem Gefühl, das im Anfang gleich Ihre ersten Arbeiten (in den Studien) mir erregten, nicht zu rasch und zu eitel auf tiefere Übereinstimmung schließe, mich rühmen, daß auch Sie gern mit mir seyn würden. Indeß rechnen Sie auf mich als einen treuen, wenn auch eben vor der Hand nicht besonders thätigen Theilnehmer an allen Ihren Arbeiten. In diesem Sommersemester gedenke ich ein kleines Publicum über die Bedeutung der alten Mythologie im Allgemeinen (ohne in besondre Deutungen mich einzulassen), mit Berücksichtigung älterer und neuerer (z. B. der Herrmannschen) Theorieen zu lesen und diese Vorlesungen auch etwa drucken zu lassen, als Vorläufer der zwar vollendeten, aber meinem letzten Beschluß zur Emission noch immer nicht hinlänglich gereiften Weltalter. Es ist vielleicht noch ein Rest meiner so viele Jahre unter ungünstiger und wenig anregender Äußerlichkeit angewachsnen, noch nicht völlig, obwohl schon ziemlich, besiegten Hypochondrie, die mich ängstlicher als billig macht.

Nun zum Schluß den herzlichsten Dank für Ihre reichen Geschenke (auch das 2te Heft von Proclus und den 2. und 3. Theil der Symbolik habe ich inzwischen durch ihre Güte erhalten) und alle Ihre Freundschaft, welche, so viel mir möglich, stets zu erwidern mein eifrigstes Bestreben seyn wird.

Leben Sie wohl, der treuesten Hochachtung und Freundschaft versichert von
Ihrem
ganz erg[eben]sten

Schelling.