Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Liebster Bruder!

Da ich zugleich mit Deinem Brief vom auch ein Schreiben von Herrn R˖[ector] Planck erhalten habe, der es mir fast zur Gewissenssache macht, den Plan mit Friz nicht aufzugeben – (in der That hatte ich diesen auch vorzüglich darum gefaßt, weil er, fast von Kindheit an als ein solcher angesehen, von dem man sich nicht viel erwarte und verspreche, und selbst wohl einverstanden mit dieser Meynung, durchaus, und mehr als Paul, einer solchen äußerlich bestimmten Laufbahn bedarf, die ihm die Überzeugung vom Gegentheil gibt) – und da Du so gütig und zuvorkommend Dich erbietest, sogar die nöthigen Schritte statt meiner zu thun: so glaube ich mich nicht besser entschließen zu können, als indem ich Dein Anerbieten um so mehr dankbarlichst annehme, als die Zeit wohl keinen Aufschub verstattet, und außer den andern Bedenklichkeiten, ich auch nicht einmal die Form weiß, in welcher man sich an den Studienrath zu wenden hätte. Wenn Du also wirklich die Güte hättest, etwa mit Anführung des eben erwähnten Umstandes zu meiner Entschuldigung, eine solche Schrift einzugeben, so würdest Du mich auf’s Höchste dadurch verbinden und Friz eine hoffentlich für sein ganzes Leben daurende Wohlthat erzeigen. Da Planck auch mir versichert, daß Friz seitdem in mehreren Pensis die erfreulichsten Fortschritte gemacht habe, da ich ohnedieß, im Widerspruch mit den meisten andern, mir von seinem Kopf immer viel versprochen habe, wenn nur seine natürliche, durch den oben erwähnten Umstand noch beträchtlich genährte, Trägheit einmal überwunden werden könnte, so stelle ich mir auch die Schwierigkeit nicht mehr so groß vor, zumal man sich auf frühere Vorgänge berufen kann und Planck schreibt, ein ähnliches Gesuch sey seinem im zu Weißenburg (ebenfalls in Bayern) verstorbenen Oheim ohne alle Schwierigkeit bewilliget worden. Solltest Du aber doch aus irgend einem Grunde Anstand nehmen, für mich zu intercediren, so glaube ich, daß auch Planck, wenn ich ihn darum bäte es wohl thun würde.

Ich kann Dir auch versichern, daß es mir zunächst gar nicht darum zu thun ist, für Friz ein Recht auf Anstellung in Wirtemb[er]g˖ zu erwerben, sondern nur ihm den Vortheil einer solchen streng bestimmten Laufbahn und eines so regelmäßig von Ziel zu Ziel fortschreitenden Unterrichts zu verschaffen. Ich würde im äußersten Fall sogar gerne jedes Jahr soviel bezahlen, als ein rejector oder dimissor am Ende zu bezahlen angehalten wird, da es mir weit weniger um Ersparniß als um den ganz besondern Vortheil dieser Disciplin für Friz zu thun ist. Doch bitte ich dieß, für den Fall der Noth in petto zu behalten, denn lieber ist mir freylich, wenn es ohne das geht.

Ich muß Dir herzlich danken und es als einen großen Beweis Deiner Liebe anseh’n, daß Du zu Pauls Confirmation kommen wolltest, da ich selbst daran verhindert war. Aber fast schmerzlich ist es mir, daß Du und besonders auch Deine verehrten Verwandten jede Gelegenheit benutzen, um gegen meine Kinder eine zu große und unsrer- wie ihrerseits ganz unverdiente, und auch nie zu verdienende Freygebigkeit auszuüben. Wenn ich so viele Güte nicht anders als mit Dank und Rührung erkennen kann, so erschwert sie mir von der andern Seite das unangenehme Gefühl der Nothwendigkeit, in der ich bin, meine Kinder fern von mir unterrichten und erziehen zu lassen. Sey’ doch überzeugt, daß ich dabey auf keine so außerordentlichen Freygebigkeiten und Gütigkeitsbezeugungen gerechnet habe, wenn es mir auch natürlich zu großer Beruhigung gereichte, sie an einem Orte zu wissen, wo sie in außerordentlichen Fällen auf so gütige und wohlwollende Verwandte in der Nähe zählen dürften. Ich mußte wohl Wirtemberg wählen, weil es mir am nächsten lag, weil ich von der dortigen Schule und Disciplin durch eigne Erfahrung die bestimmteste Kenntniß hatte und weil sich mir die treffliche Gelegenheit mit Plank, den Du ganz richtig beurtheilst, mir von selbst anbot. Und auch jetzt würde ich, ohne alle andre Rücksicht, genöthigt seyn, Wirtemberg für die Fortbildung beyder Knaben zu wählen, da sich bey uns leider das Schulwesen immer mehr verwirrt, und an einen stabilen Zustand, bey dem allein der Unterricht gedeihen kann, zunächst wenigstens nicht zu denken ist, und die frühere Idee, Paul auf das Gymnasium nach Gotha zu schicken, seit dem der Grosmutter, die es sehr gewünscht hatte, und den neuerlichen Veränderungen daselbst sehr viel an ihrem Empfehlenden verloren hat. Wegen Paul’s war ich ganz derselben Meynung mit Dir, und hätte es als ein Glück angeseh’n, wenn Herr Plank ihn noch ein Jahr behalten hätte; erst nachdem dieser es auf’s Bestimmteste abgelehnt hatte, fragte ich ihn wegen einer anderweitigen Unterkunft in Wirtemberg um Rath, und unter anderm auch, ob im äußersten Fall, wenn nämlich seine Aufnahme als Hospes in eins der Seminarien, da ich gegen Maulbronn, wo er eine gleichlaufende Promotion finden würde, eine unüberwindliche Abneigung hege und Schwierigkeiten hätte, er nicht einen Lehrer oder andern zuverlässigen Mann in Stuttg˖[art] wüßte, dem man den Knaben in Kost und specielle Aufsicht geben könnte. Übrigens finde ich, da er auf der Schule nicht länger bleiben kann, die Stille und Abgeschiedenheit eines Seminariums ihm weit zuträglicher, und Plank hat sich erboten, die Einleitung deßhalb zu treffen, wobey ich hoffe, daß oben erwähnte Schwierigkeit nicht unüberwindlich seyn wird. In dem gegenwärtigen Augenblick, wo es immer zweifelhafter wird, ob ich dem stets wiederholten Andrang meine gegenwärtige einfache Lage zu verbessern, auch ohne Rücksicht auf äußere Vortheile, schon aus moralischen Gründen in die Länge den gewünschten Widerstand werde leisten können, muß ich schlechterdings darauf denken, Paul wieder ebenso, wie in Nürtingen, unter der speciellen Obhut und Leitung eines Mannes zu wissen, dessen practische Tüchtigkeit ein vollkommnes Vertrauen einflößt. Denn Paul bedarf eines Mannes, der nicht bloß für das Geistige sondern eben so wohl auch für das Physische und Moralische seiner Zöglinge Sinn hat und zweckmäßig zu sorgen weiß.

Erst jetzt habe ich aus den Briefen der Kinder erfahren, daß sie über bey Dir waren (was mir dießmal ganz unnöthig erschien) und daß Du sie wieder (was ich erst in der letzten Vacanz ihnen bestimmt untersagt hatte anzunehmen) mit Deinen Pferden, die Du so nöthig brauchst, hast zurückbringen lassen. Thu’ wenigstens dieß nicht wieder! Solltest Du die Uhr für Paul noch nicht gekauft haben oder sie wieder zurückgeben können, so bitte ich Dich ernstlich es zu thun. Es ist wahrlich schon mehr als genug und viel zu viel an dem, was er außerdem von Dir und der lieben Schwägerin schon erhalten hat. Eine Uhr kommt bey ihm gewiß zu früh, und für die Zeit, da er eine brauchen kann, ist schon eine bereit, die ihm seine selige Großmutter in ihrem Testament vermacht hat.

Auch die Tante Beate hat, wie Paul schreibt, ihn beschenkt. Ich bitte Dich, ihr dafür herzlich in unsrem Namen zu danken.

Wann ich werde nach W˖[irtemberg] kommen können ist jetzt durch die neue Ungewißheit, in die ich wegen der nächsten Zukunft gesetzt bin, abermals zweifelhaft geworden. Ich danke Dir aber herzlich für die mir in dieser Beziehung ertheilte Nachricht.

Möge Deine liebe Frau in Ihrer Schwangerschaft so glücklich als bisher fortschreiten, und Du am erreichten Ziel, wie ich nach dem, was Du schreibst, nicht zweifle, wieder mit einem gesunden, kräftigen Kind, wo möglich mit einem Sohne (verzeih’ den Wunsch) erfreut werden.

Empfiehl uns Deiner lieben Frau und den Höchstverehrten Ihrigen auf’s ehrerbietigste und dankvollste; leb’ recht wohl und laß mich sobald Du kannst wissen, ob ich auf Deine gütige Übernahme des Anliegens wegen Friz zählen darf.
Die zärtlichsten Grüße an Clärchen.
Dein
tr˖[euer] Br˖[uder]

Fr.