Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Herrn

MedicinalRath D. Schelling

in

Stuttgardt.

frey bishin.

Liebster Bruder!

Ich kann nicht unterlassen, Dir sogleich wieder zu schreiben, um die große Freude auszudrücken, die wir über die glückliche, durch Deinen Brief uns gewordne Kunde empfinden. Ich muß zwar gestehn, ich rechnete schon seit einiger Zeit mit Sicherheit darauf diese Nachricht zu erhalten; indeß ist zwischen der gewissesten Hoffnung und der wirklichen Erfüllung noch immer ein sehr großer Unterschied. Ich danke Dir daher recht herzlich, daß Du nun die Nachricht nicht länger vorenthalten hast. Mögest Du und Deine liebe Frau reichlich getröstet werden! Und möge die Zeit bis zu dem glücklichen Augenblick, wo Ihr beyde des ersehnten Anblicks frohe werdet, vollends ohne alle Störung und auf’s Angenehmste verlaufen! Meine Frau, die noch immer von den Folgen einer Krankheit, von der auch sie zuletzt, nach verschiednen Unfällen, die besonders unsre kleine Julie betroffen, angegriffen wurde, etwas an Schwäche leidet, behält sich vor, wenn es möglich ist noch vor Abgang dieses Briefs oder wenigstens demnächst ebenfalls ihre innige Freude zu bezeugen.

Du mit Deiner lieben Frau und auch Deine verehrungswürdigsten Schwiegereltern haben eben wieder an unsern Nürtinger Kindern mehr gethan, als wir zu verdanken oder vollends zu vergelten wissen. Daß die liebe Schwägerinn aber sie auch mit Kleidern versieht, ist zu viel; die beyden Jacken, deren sie meine Frau bedürftig vermuthete, sind vor mehrern Tagen schon an die Tochter des Pf˖[arrers] in Baiersdorf gegeben worden, die ihren Bruder in St˖[uttgart] besuchen will. Diese wird sie also überbringen, wie ich den Kindern in dem Brief schon angekündigt habe.

Es ist mir gewissermaßen schmerzlich, daß Paul immer noch an dem Gedanken mit dem Landexamen hängt, ob ich ihm gleich schon vorigen gesagt habe, daß dieß nicht meine Absicht sey. Ich danke Dir herzlich für Dein gütiges Anerbieten, Dich in der Sache zu verwenden, gestehe Dir aber offenherzig, daß ich keine Lust habe, einer dortigen Behörde verbindlich zu werden, und dann auch, daß ich wegen dieser klösterlichen Erziehung, deren Vortheile und gute Seiten er etwa auch als Hospes genießen könnte, einiges Bedenken trage; auch ihn auf diese Art zu binden, da ich nach dem Charakter eines großen Theils meiner Landsleute, ihm schon darum in W˖[irtemberg] nicht viel Gutes versprechen könnte, weil er meinen Namen trägt, und mein Sohn ist, finde ich jetzt wenigstens noch zu früh. Ist es überhaupt möglich, ihn in eine Wirtembergische Anstalt zu bringen, so bleibt ihm dieß für Tübingen noch immer übrig, wo ich dann weniger Bedenken dabey hätte.

Du gibst mir in deinem letzten Brief gewissermaßen Veranlassung, Autenrieths Schrift zu lesen; ich habe sie zufällig vom Buchhändler zur Einsicht zugeschickt erhalten; Du mußt sie aber nicht sehr genau gelesen haben; sonst hätte Dir ein sehr pöbelhafter, sogar meine Verhältnisse in München obwohl auf ganz falsche Art berührender Ausfall gegen mich nicht entgehen können. Er ist mir, wie Du leicht denken kannst, sehr gleichgültig, und wenn es darum zu thun wäre, würde es an Gelegenheit nicht fehlen, ihn empfindlicher als er sich wohl einbildet dafür zu züchtigen; ich erwähne es nur, weil Du davon gesprochen und als Beweis, welche Pöbeleyen man sich in Wirtemberg gegen mich erlaubt; und auf welchen guten Willen etwa ein Sohn von mir zu rechnen hätte.*)*) Das Buch selbst hat mich weiter nicht interessirt, als inwiefern es mir belustigend war, zu sehen, wie ein solcher roher, aller classischen Bildung ermangelnder Mensch an einer Stelle, wo man bey feyerlichen Gelegenheiten doch nicht von Pflastern, Essigklystieren und dgl. Dingen reden kann, sich ein Air von allgemeinerer Bildung zu geben sucht, und darüber selbst ins Naturphilosophiren geräth, was ihn vielleicht zu dem Ausfall veranlaßt hat.

Bey dieser Gelegenheit fällt es mir wieder ein, Dich um die Briefe zu bitten, die ich Dir vor meiner Fahrt nach Besigheim zurückgelassen und nachher bey der Abreise zurückzufordern vergessen habe. Es sind 2 oder 3 Briefe des Ministers von Zentners, die meine definitive Befreyung von der Generalsecretärsstelle in München betreffen und die mir sehr wichtig sind, für den Fall, daß ich irgend einmal zu beweisen genöthigt wäre, daß man mir damit selbst entgegengekommen ist. In meinen Verhältnissen würde ich sie ungern verlieren. Außerdem 1 oder 2 Briefe unsres Kronprinzen k˖[önigliche] H˖[oheit] die ich Dich bat, Pfister gelegenheitlich lesen zu lassen, um von ihm Antwort auf eine darinn enthaltene Frage zu erhalten. Diese sind mir besonders werth. Ich hätte freylich nicht voraussetzen sollen, daß sie für Dich von Interesse seyn könnten; indeß hoffe ich doch, sie werden nicht verloren, sondern höchstens verlegt seyn. Sobald als möglich bitte ich, sie mir wieder zu schicken.

Leb’ recht wohl; bezeuge Deiner lieben Frau und besonders auch in der Akademie unsre herzlichste Theilnahme und Glückwünsche, und nehme diese auch für Dich freundlich auf!
Dein
tr˖[euer] Br˖[uder]

Fr.

Die zärtlichsten Grüße unser’m Klärchen; Papa ließe ihr sagen, da sie die Zähne jetzt wechselte, sollte sie nicht mehr Zucker noch Zuckergebacknes naschen, um weiße Zähne zu behalten
Verzeih’ nur gütigst die Eile, mit der ich schreiben mußte!