Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Herrn

ObermedicinalRath Dr. Schelling

in

Stuttgardt

g[an]z frey

Liebster Bruder!

Du entschuldigst Dich in dem letzten Briefe wegen langen Stillschweigens, weit größere Ursache dazu hätte ich; doch hoffe ich, Du wirst auch ohne weitläuftige Auseinandersetzung meiner Abhaltungsgründe mir verzeihen, und bitte Dich, im Gegentheil mein langes Schweigen als Beweis anzusehen, daß ich gewiß nicht auf Dich zürne oder Dir es übel deute, wenn Du mir längere Zeit nicht schreibst. Du wirst von so vielen Seiten in Anspruch genommen, daß es mich schmerzen sollte, wenn der Briefwechsel mit mir jemals Deine Last vermehren sollte, und bey der jetzigen Beschaffenheit unsrer schriftlichen Mittheilungen können wir um so eher einander darinn nachsehen, als wir annehmen dürfen, daß persönliche Ereignisse, die für den einen oder andern von uns wichtig seyn könnten, gewiß mitgetheilt würden, wenn dergleichen vorhanden wären. Ich habe den ersten Theil dieses Winters ganz vergnüglich und in fleißiger Arbeit zugebracht, der spätere wurde durch ein schmerzliches Ereigniß getrübt, indem meine liebe Frau im 6ten Monat von einem todten Kinde entbunden wurde; theils waren die Umstände für meine Frau sehr gefährlich, theils war uns das frühe Schicksal des armen Kindes (es war ein Knabe) an sich und auch darum schmerzlich, weil wir für unsern kleinen Hermann wohl einen künftigen Lebens- und Lerngefährten hätten wünschen mögen, wie ihn Paul an Friz gefunden hat. Gottlob, das ist nun auch vorbey, und meine liebe Frau, die schon beynah 4 Wochen vor dem Eintritt der, durch eine falsche Lage veranlaßten, Katastrophe, das Bett hüten mußte, befindet sich nun wieder außer demselben und verhältnißmäßig sehr wohl; daher wir alle Ursache haben, Gott zu danken, daß es noch so glücklich vorübergegangen, da bey den obwaltenden Umständen eine rechtzeitige Geburt noch viel größere und kaum zu überwindende Gefahr mit sich geführt hätte. Zum Glück hat sich meine Schwägerin Julie diese ganze Zeit über bey uns befunden.

Unter diesen Betrübnissen war es uns doppelt tröstlich, von den Kindern in Nürtingen fortwährend gute Nachrichten zu erhalten. Besonders scheint sich Paul recht zusammengenommen und gute Fortschritte gemacht zu haben. Schon vor mehreren Wochen schrieben sie, daß Du wieder die Güte gehabt hast, sie auf nach Stuttg˖[art] einzuladen, und so kommt Deine Liebe immer wieder sogar meinem Dank für das Vergangne vor, denn noch habe ich Dir und der lieben Schwägerin nicht einmal gedankt für die Geschenke, mit welchen die Kinder zu nur zu verschwenderisch begabt worden sind. Wenn Du also die Kinder über Ostern haben willst, so habe ich von meiner Seite ihnen dieß Vergnügen erlaubt, wiewohl ich hätte überlegen sollen, daß diese Ferien nur ganz kurz seyn können und sie also um so eher in N˖[ürtingen] bleiben konnten. Auf jeden Fall hoffe ich werden sie, wie ich sie ermahnt, ihre Hin- und Herreise so einrichten, daß sie Dir nicht so große Ungelegenheit wie bisher verursachen. Wenn Herr Rector Planck ihnen einen Boten als Aufseher mitgibt, so sind sie gewiß vollkommen im Stand, wofern sie sich Zeit dazu nehmen, zu Fuß nach St˖[uttgart] und ebenso wieder zurück zu kommen.

Wir freuen uns aufs herzlichste und nehmen den innigsten Theil an dem glücklichen Gedeihn Deines lieben kleinen Töchterchens; möge dieses Kind ganz die Freude und die Wonne seiner Eltern werden und bleiben. Wir hoffen, durch die Knaben, wenn sie nach Stuttg˖[art] kommen, auch einmal etwas mehr von diesem lieben kleinen Wesen zu hören.

Meine Frau empfielt sich Dir und mit mir auch Deiner lieben Frau auf’s Beste; grüße auch unsre gute Schwester, die ein so harter Schlag getroffen hat, auf’s Zärtlichste von uns.

Darf ich bitten auch in der Akademie unser verehrungsvolles Andenken zu bezeugen.

Lebe recht wohl, und sorge für das Einzige, daß Du bey der Menge und Last Deiner Arbeiten Dich gesund erhaltest. Du solltest Dich einmal wieder auf ein Paar Wochen losreißen! Dürfte ich denn hoffen, daß Du Erlangen zu Deiner Erhohlung wähltest und ein Paar Wochen mit uns in der paradiesischen Gegend von Muggendorf zubringen wolltest, so wäre mein höchster Wunsch für diesen erreicht.
Nochmals leb wohl!
Dein
tr˖[euer] Br˖[uder]

Fr.