Herrn
MedicinalRath Dr. Schelling
in
g[an]z frey.
Erlangen .
Liebster Bruder!
Was wirst Du von mir denken, daß ich den ganzen ersten des Jahrs habe vergehen lassen, ohne Dir zu schreiben. Und ich bin Dir so großen Dank schuldig! Du hast unsre Kinder wieder über zu Dir kommen lassen, sie auf vielfache Weise erfreut und erquickt. Und Deine liebevollen Äußerungen über sie waren Balsam für unsre elterlichen Herzen, denen die Trennung fast noch schmerzlicher ist jetzt nachdem wir sie wieder geseh’n und uns so sehr an ihnen erfreut haben. Gott lohne Dir und Deiner lieben Frau alles Gute und Freundliche, das ihr meinen Kindern, fast im Übermaße, erzeigt, mit dem schönsten Lohn! Unsrer herzlichsten Segenswünsche zum Neuen Jahr seyd Ihr ohnedieß versichert! Möge nun die fortwährend ungünstige, so viele Krankheiten erzeugende Witterung Dir das Leben in diesem nicht zu schwer machen, und so selbst Deiner Gesundheit schaden!
Wir haben die unangenehmen Folgen derselben gleich in diesem ersten empfunden. Unsre kleine Julie erkrankte – wie es schien an einem Brustcatarrh, der uns nicht bedenklich vorkam, doch ließ meine Frau noch spät Abends, bey zunehmenden Zufällen, Fleischmann rufen, der sogleich erklärte, es sey keine Zeit zu verlieren, wenn das Kind gerettet werden solle, das Übel sey der Croup. Nun wurde nicht einmal mein gewöhnlicher Chirurgus sondern der nächste von unsrer Wohnung gerufen und dem Kind gleich 12 Blutigel an den Hals gesetzt. Zu gutem Glück verminderten sich die Zufälle sehr bald und nach 24 Stunden wurde das Kind Gottlob, außer Gefahr erklärt. Du kannst Dir aber denken, daß wir nicht geringen Schrecken gehabt hatten! Dieses Kind ist gar so lieblich, wie Clärchen nur je gewesen, obgleich wieder ganz anders wie diese – und so nahe waren wir daran, es zu verlieren. Noch eh’ es ganz hergestellt war, hatten wir 2 Häuser von uns Abends plötzlichen Feuerlärm, doch war nach einer halben Stunde alle Gefahr vorbey. Einige Tage nachher bekam Lina einen scheinbar ganz ähnlichen Zufall, aus dem aber Fleichmann nichts machte. Jetzt liegt meine liebe Frau an einem heftigen Rheumatismus in der Hüfte krank, und die unterschiedlichen Alterationen haben mir eben auch nicht gut gethan. Ich bitte Dich, zum Theil wenigstens, mit diesen Umständen mein langes Stillschweigen zu entschuldigen. Ich hoffe, daß wir bald gute Nachrichten von Dir und auch von Nürtingen erhalten, wie wohl mir die Kinder kürzlich zu meinem und selbst Friz – wer hätte es noch vor dem Jahr denken sollen – einen recht ordentlichen lateinischen Brief schrieb.
Glaube doch nicht, daß mich der Zorn unsrer Schwester verdrossen hat. Die einzige Empfindung, die ich dabey hätte haben können, wäre gewesen über die Art ihrer Äußerung desselben zu lachen, wenn ich nicht hätte bedauern müssen, zu sehn, daß meine wohlgemeynten Äußerungen sie so tief gekränkt haben. Grüße sie ja recht freundlich von mir, und suche das unfreundliche Bild, das sie sich von mir macht, wenn es möglich ist wieder zu verdrängen. Sage ihr zugleich, daß meine Frau nur durch die obenerwähnten Umstände bis jetzt abgehalten worden ist, ihr wiederzuschreiben, sobald sie aber wieder wohl seyn wird, solle sie gleich einen Brief erhalten.
Nun nochmals zum Neuen Jahr unsre herzlichsten Wünsche; möge Dir und Deiner lieben Frau der liebste und schönste Trost werden für das, was das letzte Jahr euch schmerzlichst entzogen, und Gott auch darinn alles wohl machen! Grüße herzlichst Deine liebe Frau und empfiehl uns dem Andenken aller verehrten Verwandten aufs Angelegenste.
Dein
tr˖[euer] Br˖[uder]
Fr.
Ich sehe erst, nachdem ich fertig bin, wie schlecht und undeutlich der Brief geschrieben ist. Entschuldige es mit der Kürze der Zeit, ich wollte den ersten Augenblick benutzen, und dieser war fast nur ein Augenblick.