Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Herrn

MedicinalRath Dr. Schelling

in

Stuttgardt.

g[an]z frey.

Liebster Bruder!

Die Verzögerung meiner Antwort hat Dir schon gezeigt, daß wir Deinen Brief in Ansehung Clärchens in reifliche Überlegung nehmen wollten. Alle angestellte Überlegung kann freylich den Wunsch nicht aufheben, das Kind wieder bey uns zu haben, indem wir vorausseh’n, daß die Trennung nur immer schmerzlicher, die Gewöhnungen an die Verhältnisse, in die sie zurücktreten soll, für sie immer schwerer werden wird, je länger sie in den gegenwärtigen verweilt. Da aber Deine liebe Frau erklärt, daß sie es nicht würde ertragen können, das Kind in andere Hände als die der Eltern zurückzugeben, und wir von der andern Seite das Opfer, welches Du uns durch eine Reise nach Feuchtwangen, besonders unter den gegenwärtigen Umständen, wo Du für Dein eigen Kind nicht ohne alle Besorgnisse seyn kannst, bringen würdest, und dessen Größe wir vollkommen erkennen, unmöglich annehmen können: so müssen wir denn freylich auf die Hoffnung verzichten, Clärchen vor dem noch bey uns zu haben. Um das Einzige bitten wir, daß Du diese Frist benutzest, um sie auf die Trennung vorzubereiten und diese ihr so viel möglich ebenso leicht als nothwendig vorzustellen. Ich bemerke nur noch, daß die Person, durch welche wir Clärchen wieder zu erhalten wünschten, nicht nur überhaupt unser Zutrau’n besitzt, sondern auch von einer Art ist, um das Herz eines Kindes gewinnen und mit ihm auf eine sanfte und verständige Art umgehen zu können. Aus diesem Grunde konnten wir also für möglich halten, daß Clärchen ohne allzugroßes Widerstreben ihr folgen würde. Wir werden sie also nun, in der Voraussetzung, daß in den Umständen inzwischen sich nichts ändern werde, nicht nach Stuttgardt, sondern bloß nach Nürtingen schicken, wo die Knaben hoffentlich wohlbehalten eintreffen werden. Wir danken Dir und Deiner lieben Frau herzlich für die Einladung, sie über Stuttgart zu schicken, da sie aber nicht früher abreisen können, und in der nächsten Woche die Schulen anfangen: so durften wir nicht daran denken, ihnen diese Vergnügen zu machen.

Wenn August, vielleicht durch die allerdings beträchtlichen Kosten, sich hat abhalten lassen, seinen Sohn nach W˖[ürzburg] zu schicken, so bedaure ich dieß um so mehr, als d’Outrepont versicherte, daß er dort unfehlbar würde geheilt werden. 600 fl. sind doch für A˖[ugust] nicht anzuseh’n, wenn es darauf ankommt, einen Sohn von einem beschwerlichen und in der Folge vielleicht noch unangenehmere Folgen nach sich ziehenden Übel zu befreyen. Wende doch alles an, sein Herz noch zu bewegen!

An demselben , an welchem ich Deinen Brief erhielt, habe ich vormittags auch schon das Bildniß Herzog Christophs zurückerhalten. Ich bitte Dich, dieses den Herrn Archivaren einstweilen anzukündigen; überschicken werde ich es mit Gelegenheit der Kinder.

Leb’ recht wohl, empfange nebst Deiner lieben Frau unsre herzlichsten Grüße und den innigsten Dank für alle unsrem Clärchen bis jetzt bewiesne Liebe und Treue!
Dein
tr˖[euer] Br˖[uder]

Fr.