Herrn
MedicinalRath Dr. Schelling
in
g[an]z frey.
Erlangen .
Liebster Bruder!
Ich hätte Dir früher geschrieben, wenn ich bis jetzt bestimmtere Nachrichten aus Carlsbad von dem Erfolg der Cur erhalten hätte. Leider sind diese noch immer weder sehr bestimmt noch sehr tröstlich. Die dortigen Ärzte haben zwar meiner Frau das Trinken erlaubt, jedoch ohne bestimmte Hoffnung zu geben. Seit etwa 14 Tagen trinkt sie nun, und zwar dem Willen des Arztes zufolge, die stärkste Quelle den Sprudel in ziemlicher Quantität, ohne Beschwerden – dieß ist aber auch das Einzige, woraus die Ärzte Hoffnung zu schöpfen scheinen: denn übrigens scheint das Übel eher fortzuschreiten als zurückzugehen. Zu verwundern ist, wie erträglich sie sich noch immer dabey befindet, wie ich theils aus ihren eigenen Briefen theils aus andern Nachrichten schließen muß. Da ich indeß nicht glauben kann, daß ihr die Ärzte so ganz ohne Grund noch immer Hoffnung geben: so halte ich mich ebenfalls noch an diesen schwachen Trost, und die selbstgemachte Erfahrung, daß das Karlsbad niemals schnell, sondern nur allmälig und oft erst geraume Zeit nach dem Gebrauch seine gute Wirkung äußert. Die beyden Kinder befinden sich in Karlsbad vortrefflich, ja unsere Kleinste scheint erst auf der Reise vollends recht aufgegangen zu seyn, meine Frau kann ihre Lebendigkeit nicht genug beschreiben. Es kann doch nur ein zufälliges Übel bey meiner Frau zu Grunde liegen; denn dieses jüngste Kind ist grade das gesündeste, kräftigste, lebensfroheste von allen.
Nun kann ich aber nicht umhin, Dir, liebster Bruder, einen zärtlichen Vorwurf zu machen. Recht nämlich kann ich es doch nicht finden, daß ich, Dein ältester Bruder, vom dritten Ort her (von München) und durch Fremde zuerst erfahren muß, welchem Glück Du mit Deiner lieben Frau entgegensiehst. Du konntest doch wohl voraussetzen, welche Freude eine solche Hoffnung mir (und gewiß auch meiner guten Frau) verursachen würde, da gewiß alle, die Dich auch nur kennen, daran auf’s Herzlichste theilnehmen. Durch diese Hoffnung geht der innigste Wunsch, den alle, die Dich lieben, seit langer Zeit mehr im Herzen für Dich bewahrten als zu äußern sich erlaubten, endlich in Erfüllung; Dein Lebensglück, dessen Du in so hohem Maße genießest und in noch höherem würdig bist, erhält erst dadurch seine ganze Vollendung. Rechne es mir also wenigstens nicht als Gleichgültigkeit an, wenn ich mit meinem Glückwunsch, dem sich meine Frau gewiß auf’s herzlichste anschließt, erst so spät komme (da ich in der That erst seit ganz Kurzem von dieser Hoffnung Gewißheit erhalten), und sage insbesondere Deiner lieben Frau, daß wir Alle sie zwar schon immer von Herzen geliebt haben, aber nur erst, wie man zu reden pflegt, auf den Händen tragen und in Gold fassen werden, nachdem Dir durch sie das schönste Lebensglück zu Theil geworden. Genieße dieses Glücks mit Deiner lieben Frau in bester Gesundheit und ungetrübter Freude! Ich bitte Dich insbesondere unsre Freude auch in der Akademie zu bezeugen, denn wenn diese durch irgend etwas erhöht werden kann, so ist es durch den Gedanken, wie glücklich die trefflichen Eltern durch die Erfüllung einer so lang gehegten und so lang schmerzlich getäuschten Hoffnung seyn mögen.
Leb’ nun recht wohl; küsse unser liebes Clärchen von mir, deren treffliches Gedeih’n mir kürzlich Frau von Herder höchst erfreulich beschrieben, und behalte in brüderlichem Andenken
Dein
tr˖[euer] Br˖[uder]
Fr.