Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Herrn

MedicinalRath Dr. Schelling

in

Stuttgardt.

fr˖[ey] G[rän]z[e]˖

Liebster Bruder!

Erst heute komme ich dazu, Dir wieder zu schreiben. Die Hauptursache, die mich abhielt, war, daß ich die letzten Wochen des Halbjahrs benutzte, noch ein Publicum (Über den Ursprung der Mythologie) zu lesen, das großen Beyfall fand und mir selbst viel Vergnügen gewährte; da nun zugleich mehrere Fremde sich hier befanden, denen ich einen Theil meiner Zeit widmen mußte, so blieb mir auch beynahe kein Augenblick übrig, Briefe zu schreiben. So sehr erwünscht es uns allen wäre, von Deiner gütigen Einladung nach Stuttg˖[art] Gebrauch zu machen, so wollen es doch die schon angeführten Verhältnisse durchaus nicht zulassen, um so mehr, da ich hier seyn muß, um den Druck einer kleinen Schrift zu leiten, die ich noch vor im Publicum wünschte. Deinen Vorschlag, unterwegs irgendwo, etwa in Ansbach, zusammenzukommen, können wir auch unmöglich annehmen. Es wäre doch sonderbar, wenn Du, so nahe meinem jetzigen Aufenthaltsort, ihn gleichsam absichtlich zu vermeiden schienest, auch können wir wohl nirgends so ruhig und ungestört zusammen seyn, als hier, wo Du der Ferien wegen alles wie ausgestorben, und nicht nur keine Studenten, sondern auch sogar diejenigen Professoren, mit denen ich in näheren Verhältnissen stehe, sämmtlich verreist finden wirst, wogegen ich in Ansbach als Fremder, Einladungen und Ansprüchen mehrerer und darunter Rücksicht fordernder, Bekannten ausgesetzt seyn würde. Von der Universität, vor der Du übrigens gewiß nicht Ursache hättest, Dich zu scheuen, wirst Du hier gewiß nichts gewahr werden. Wir bitten nun also Dich und Deine liebe Frau recht inständig, daß ihr euch doch bald entschließen wollt, die kurze und leichte Reise hieher anzutreten, und besonders die Einrichtung so zu treffen, daß es auch der Mühe werth ist und Du Dich bey uns doch wenigstens einige Wochen von Deinen anstrengenden Arbeiten ausruhst. Alles was in unsern Kräften steht soll geschehen Dir und Deiner lieben Frau den Aufenthalt angenehm zu machen, und wenn uns der Himmel mit der Witterung begünstigt, schmeichle ich mir sogar, daß Dir, so wie ich Dich kenne, die hiesige Gegend und Lebensart ganz wohl gefallen soll. Ich bitte Dich nur, nicht zu lange zu zögern, sondern wo möglich jetzt gleich zu kommen, theils, weil wir, einmal in der Hoffnung, Dich, Deine liebe Frau und unser theures Clärchen zu sehen, den Augenblick mit Ungeduld erwarten, theils wir wir eine frühe Kälte fürchten, denn seit einigen Tagen sind, troz der heißen Witterung, unsere Störche verschwunden. Gar zu gerne möchten wir auch unsere liebe Schwester Beate einladen und Dich bitten, sie mitzubringen. Allein wir stellen uns vor, daß sie ihre beyden Söhne nicht gerne verlassen werde, und diese mit einzuladen fehlt es uns an Raum, daher wir uns vorbehalten, Sie zu bitten, daß sie einmal mit ihren Kindern für sich hieherkomme, was so leicht möglich ist, da sich gewiß in Stuttg˖[art] wöchentlich Retouren nach Nürnberg finden. Erfreue uns nur bald mit bestimmter Nachricht, und bezeichne uns womöglich gleich den Tag deiner Ankunft.

Bruder August herzlichen Dank und Glückwunsch zu der erhaltnen Beföderung, ich kann mir denken, daß dieselbe ganz nach seinen Wünschen ist.

Dem Herrn Pf[a]rr[er] Bockshammer danke gelegentlich in meinem Namen – obgleich an seiner Schrift nicht sehr viel scheint, freut sie mich doch in Bezug auf manche andre, weniger bescheidne, Wirtembergische Beurtheiler.

Leb recht wohl, bis zu hoffentlich frohem und recht nahem Wiedersehn. Herzliche Grüße an Deine liebe Frau und Empfehl˖[ung] an alle theure Gönner und Freunde. Bey uns ist alles wohl.
Dein
tr˖[euer] Br˖[uder]

Fr.