Schelling

Schelling Nachlass-Edition


An

Herrn Hofmedicus und MedicinalRath

Dr. Schelling

in

Stuttgart.

Fr˖[ey] Ulm.

Liebster Karl!

Ich danke Dir auf’s herzlichste für Deine wohlwollenden, ächtbrüderlichen Einladungen und Anerbietungen. Sey überzeugt, daß ich ohne allen Anstand davon Gebrauch machen würde, 1) wenn ich es für nöthig hielte 2) wenn es sich mit andern nicht zu verändernden Umständen in Übereinstimmung bringen ließe. Was das Erste betrifft, so habe ich mich einstweilen durch einen kurzen Aufenthalt auf dem Lande so ziemlich wieder heraus gerissen, und will, da die Umstände meiner Frau meine weitere Entfernung nicht wohl zulassen, für den übrigen Theil des ein Arbeitszimmer, 3/4 bis 1 Stunde von der Stadt nehmen, wo ich dann täglich genöthigt bin, diese Bewegung zu machen. Denn ich finde, daß die freywillige Bewegung, wenn auch noch so regelmäßig geübt, nicht die Wirkung hat, wie die gezwungne – und die Landluft scheint mir jeden Sommer weniger entbehrlich. Was das andre betrifft, so würden zwar meine Frau und Kinder, obwohl nicht ohne große Beschwerde Deiner lieben Frau, sich bey Dir wohl einrichten können; ich aber muß diesen Sommer endlich mein Werk vollenden, wozu ich der größten Ruhe und Muße bedarf, die ich selbst in dem Fall, daß ich eine Wohnung für mich, etwa in Cannstadt nehmen wollte, wegen des Menschen-Andrangs und Geräusches dort schwerlich finden würde, so wie mich überhaupt diese Reise vor der Hand nur abermals zerstreuen und aus meiner Arbeit herausreißen würde.

Außer diesem bin ich auch von dem gegenwärtigen Ministerium, ohne meinen Wunsch und Ansuchen, zum Secretär meiner Classe in der Akad˖[emie] ernannt worden, ein Amt, das ich eben jetzt zu übernehmen habe und das ich nicht gleich anfangs verlassen möchte.

Ferner besteht jetzt eine Commission zu Verbesserung der Verfassung und Einrichtung unsrer Akademie, wovon ich nebst 3 andern Mitglied bin; bey dieser thätig zu seyn, fodert nicht bloß die Pflicht sondern auch mein eigner Vortheil, da ich doch einmal diesem Institut angehöre, also mit demselben auch steige und falle. Unter diesen Umständen wirst Du es ganz natürlich finden, wenn ich mich ohne die äußerste Noth nicht entfernen will.

Empfang’ inzwischen für Dich und Deine liebe Frau meinen und meiner Frau innigsten Dank für dieß liebevolle Anerbieten, und die Versichrung, daß wenn ich es für meine Gesundheit oder Erhaltung nöthig finden sollte, ich gewiß entweder allein oder mit meiner ganzen Familie von Deiner treu-brüderlichen Einladung Gebrauch machen werde.

Ich bitte Dich einstweilen mich nur durch Deinen ärztlichen Rath zu unterstützen und wo möglich etwas vorzuschreiben, wovon ich wenigstens für das (denn im werde ich ganz gewiß ein Bad brauchen) mir Erleichterung verschaffen kann, da das von meinem hiesigen Arzt vorgeschriebene Mittel zwar gut thut, aber in die Länge doch schadet, die Vorschrift von Jaeger aber meinen Umständen nicht ganz angemessen scheint.

Es thut mir recht leid, daß auch Du Dich von so manchen Zufällen und Umständen angegriffen fühlst; pflege doch Deine Gesundheit so sehr Du kannst, ich fühle mich noch reich an Freundschaft und Liebe, so lang’ ich Dich besitze. Da Du es so leicht kannst, so ist es Pflicht für Dich, diesen ein Bad zu brauchen; was mich betrifft, so brauche ich wenigstens gewöhnliche Bäder sehr fleißig und finde, daß sie mich sehr erleichtern und stärken. Bäder zur rechten Zeit gebraucht hätte meines Erachtens allein noch den guten Breyer retten können. Im Anfang des Rückfalls erhielt er immer noch Abführungen und bis 6 Tage vor seinem noch immer Nitrum selbst unter die stärkenden Arzneyen; erst da der Tod auf dem Weg war, kamen alle Gewalt-Mittel in bunter Mischung zum Vorschein. Wenn Brand sich so lange verhalten und verborgen kann, so glaube ich, daß schon von dem ersten Anfall her ein Ansatz zum Brand vorhanden war. Je mehr ich indeß alle Umstände überlege, desto einleuchtender wird mir, daß Breyer gestorben ist, weil er eben reif dazu war. Die unnatürliche, peinliche Anspannung, mit der er sein letztes Werk (ein Lexicon der Universal-Geschichte für die baier’schen Schulen) betrieb, die wenige Pflege, die er sich überhaupt gönnte, hatten seine Kräfte fast erschöpft. Die Hitze der letzten Drangsale brachte nur noch schneller die Frucht zur Reife. Schon mehrere Tage vor seinem Ende zeigten sich blaue Flecken auf seinem Unterleib, übrigens war der Hauptcharakter seiner Krankheit Schwäche, obwohl er stärkende Mittel nicht recht vertrug, sondern gleich davon sich erhizt fühlte; aus diesem Grunde waren Bäder vielleicht das einzige Mittel. Gleich anfangs war in seinem Puls eine außerordentliche Zurückgezogenheit zu spüren, es war als ob sich alles von außen ab- und nach innen gezogen hätte. So war auch seine Geistes- und Gemüthsstimmung. Die Frau zeigt eine bewundernswerthe Fassung.

Grüße aufs Beste unsre liebe Mutter, der ich demnächst auch schreiben werde. Ebenso Deine liebe Frau und unsre Schwester. Gott erhalte Euch alle gesund. Schreib’ mir bald wieder.
Dein tr˖[euer] Br˖[uder]

Fr.