Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Hochverehrtester Herr Director, ich darf nun nicht länger versäumen, Ihnen für das schöne Geschenk zu danken, das sie mir gemacht, zumal mir Dir˖[ector] Marcus aufgetragen, diesen Brief dem seinigen beyzulegen. Ihre Schrift wird Epoche machen. Sie trägt ganz vorzüglich, obgleich nur Prodromus den Stempel Ihrer Geisteswerke – den großartigen Ueberblick, und die Herrschaft über einen reichen und schön geordneten Stoff, mit folgenreichen Resultaten, in einer edlen, musterhaften Sprache. Doch bin ich weit entfernt, dieselbe würdigen zu wollen. Die Richtung, welche meine geringen Studien genommen, läßt nicht zu, mich zur Ansicht des großen Ganzen zu erheben. Ich arbeite so, in häufigen Unterbrechungen, apis matinae more modoque. Wie leid mir aber auch das thut, zumal wenn ich solche Schriften lese. Um so mehr freut mich der Beyfall eines solchen Pflegers auf dem Gebiete unsrer Wissenschaften.

Ihre Etymologien stützen sich auf die Behauptung, daß Phönizer die Stifter der samothrazischen Mysterien seyen. Die Sache läßt sich ohnedies nicht bezweifeln. Doch wird sie unterstützt durch eine, wie es mir scheint, merkwürdige Stelle des Hesychius T. II. col. 1147. Σαμίων ὁ δῆμος. Ueber das Wort σάμος (welches der Quantität wegen nicht von σᾶμa abstammen kann) spricht H˖[es]y[ch]en über Hom. Il. Th˖[eil] VI. S. 370. Kennen Sie Lobecks Schrift: de morte Bacchi? Ich zweifle nicht. Sie gebrauchen oft das Zeugniß der Orphica. In dieser Beziehung muß Ihnen jene Schrift, meyn’ ich, nicht ganz gleichgültig seyn. Was sind die Orphica? woraus sind sie geschöpft? welche sind die Verfasser? Darüber stellt Lobeck gar sonderbare Ideen auf. Er nimmt an, daß die Lehren und Mythen, die man in die Orphicis, bey Nonnus, Euphorion u.a. findet, Bruchstücke aus Mysterien-Lehren seyen, daß die folgenden aus den Orphicis geschöpft, und Onomacritus Verfaßer der Orphica sey. Er glaubt, daß diese Orphica lange Zeit ἐν ἀποδεταῖς gewesen seyen, hält aber unsere Orphica nicht für dieselben, welche Pausanias anführt. In den Mysterien, welche Cicero in interioribus et recentis literis enthalten nennt, sieht er nichts als das Allegorisiren der Philosophen, und behauptet, daß sich die Priester jedesmal nach der herrschenden Philosophie gerichtet. Er verdammt alle Mysterien als Betrügereyen, nur die Eleusinischen nicht. Daß unsere Orphica aus ältern geschöpft, daß Pausanias diese neuern, aus jenen zusammengesetzten nicht gekannt, daß in den Orphicis viele Platonica wie auch Creuzer dargethan, enthalten seyen – Dieß ist hie und da angedeutet, und das Ganze überhaupt eine solche gelehrte Anhäufung von Excerpten, daß man sich kaum durchfindet.

Herr Wolfsohn, Verfasser aus Berlin, ein wackerer Mann, und Schüler Mendelsohns, ein gelehrter Orientalist, der Ihnen diese Schreiben überbringt, hat Ihre Schrift mit vielem Vergnügen wiederhohlt gelesen. Es wird ihn höchlich erfreuen, wenn Sie mit ihm ein Stündchen über dieselbe sprechen wollen. Auch schmeichle ich mir, daß es Ihnen nicht unlieb seyn wird, mit Ihm, wie er selbst wünschte, Bekanntschaft gemacht zu haben.

In Marcus geistreicher Gesellschaft befinde ich mich sehr oft. Dieser jugendliche Mann, der in seiner Wissenschaft ebenfalls so treffende Ideen verräth, wie Sie in dem ganzen Umfange der Wissenschaften, den Sie bearbeitet haben, und bearbeiten, ist sehr erwünscht, zum Freunde gewonnen zu haben.

Leben Sie recht wohl, und erhalten mich ferner in Ihrem freundschaftlichen Andenken und Ihrer Wohlgewogenheit. Ewig und unveränderlich
Ihr
gehorsam ergebenster

Fr. Göller.