Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Erschrecken Sie nicht geliebter Freund, wenn Sie am Ende dieses Briefes meinen Namen und übrigens die fremde Hand, mit der er geschrieben ist wahrnehmen. Es hat damit weiter nichts auf sich, als daß es mir gegenwärtig leichter wird, Briefe zu dictiren, als selbst zu schreiben. Meine Krankheit von der ich nicht geglaubt hätte, daß die Zeitungen das Gerücht davon bis nach Schweden bringen würden, ist glücklich beseitigt, bis auf einige Nachwehen, die und günstigere Witterung, hoffe ich, auch vollends hinwegnehmen sollen. Nun gebe der Himmel, daß ich mit dem neuen Blut, das ich mir anschaffen mußte, auch einen neuen Menschen angezogen habe, und die Beschwerden und Kränklichkeiten des alten mit den von den Aerzten reichlich vergossenen Blut hinweggeschwemmt worden seyen. Dieß thut mir vor allem hoch noth; sollte es übrigens bey dem alten bleiben, so wäre es fast gleichgültig, ob ich noch zu leben schiene. Ihr Brief vom hat mich ungemein erfreut und erquickt. Ihre Stimme war mir unter denen, die mich in diesem Leben wieder begrüßten nahezu die lieblichste, aber besonders erheiternd war mir das heitere, bewegliche Gemüth das mich aus ihm ansprach, während aus ihren italienischen Briefen selbst, und noch den Berlinern, eine gewisse Gedrücktheit und Trübheit sich abnehmen ließ. Ist es die starke nordische Luft, der Odem des Vaterlands der Sie so erheitert, oder sind es die allerdings schönen und angenehmen Verhältnisse, in die Sie sich bey Ihrer Rückkehr wie durch einen Zauberschlag versetzt sehen? Denn ich halte es wahrlich für eine sehr günstige Fügung, welche Sie aus dem einsamen und einförmigen Leben auf der Universität plötzlich an den Hof versetzt hat. Wen die Natur zum Dichter geweiht hat, den muß das Glück vollenden; ihm muß diese launenhafte Göttinn das Leben in allen seinen Gestalten, in seinen Höhen und Tiefen zu sehen vergönnen und alle scheinbare Herrlichkeit der Welt vor ihm aufschließen damit er die wahre, deren Bild er den Menschen zeigen soll, desto inniger empfinde. Und der Prinz mit dem Sie in so naher Beziehung stehen, scheint nach Ihrer Beschreibung wirklich ein Jüngling zu seyn, an dem sich das Gemüth erfrischen und erheitern kann. Es ist ein besonderes Glück, daß dieses südliche Gewächs sich dem nordischen Himmel so angepaßt hat; man kann nicht sagen was aus dieser Mischung zweyer verschiedener Naturen mit der Zeit entstehen kann. Auch als gutem Deutschen ist es mir wichtig, da ich überzeugt bin, daß unser und unserer skandinavischen Brüder Schicksal stets in innigem Zusammenhang bleiben wird.

Nach allem was Sie mir von Ihren eigenen Arbeiten und denen Ihrer Freunde schreiben, sollte man nun billig anfangen, in Deutschland Schwedisch zu lernen. Denn so kräftig und eigenthümlich Sie z.B. unsere Sprache handhaben, dürfte man Ihnen doch nicht zumuthen, was Sie schwedisch geschrieben, auch gleich deutsch niederzuschreiben, und wenn Sie sich auch zwischen deutsch und schwedisch theilten, müßten wir immer auf die eine Hälfte Verzicht thun. Unter den zwanzig Gedichten, die Sie in dem poetischen Taschenbuch für 1820 bekannt gemacht haben befinden sich doch wohl noch mehrere entweder ursprünglich deutsch gedichtete, oder leicht zu übertragende, die ich nicht kenne. – Ausser dem an Steffens und dem herrlichen Lied in den Kärntner Alpen, kenne ich keines derselben. So wünsche ich denn besonders auch von Ihrem Freunde Geyer etwas lesen zu können, am meisten reitzt mich seine Abhandlung über Feudalismus und Republicanismus, ein herrlicher Stoff, über den man jetzt leider so viel Verkehrtes hören muß. Auch ich habe in der letzten Zeit mich mehr und tiefer als je mit diesen Gegenständen beschäftigt; es ahndet mir fast, daß ich mit Ihrem wackeren Landsmanne in den Hauptpunkten übereintreffen möchte. Die Sache ist ernsthaft genug und wird es täglich mehr. Sie scheinen sich zwar von unserer politisch-litterarischen Lage in Schweden etwas wunderliche Begriffe zu machen, wenn man dort von deutscher Lammsgeduld etc. etc. redet. Es ist freylich nicht zu bewundern, da in allem was öffentlich erscheint, die wahre Gestalt der Dinge zum Theil absichtlich, zum Theil nothgedrungen verhüllt wird. Die Carlsbader Beschlüsse, so wie den größten Theil der preußischen Maasregeln kann zwar kein Wohldenkender billigen, da Sie großen Theils unzweckmäßig sind, und durch Vermischung des Unschuldigen mit dem Schuldigen gerade die entgegengesetzte Wirkung hervorbringen müssen, alles nämlich zur Opposition zu vereinigen. Aber diejenige Opposition gegen welche dieß alles ursprünglich gerichtet ist, kann man doch wahrlich auch nicht vertheidigen; es wird täglich klarer, daß doch nichts Anderes dahinter steckt, als die dürren altjakobinischen Ansichten und die seichte Aufklärerey, die alles Tiefere in Wissenschaft, Religion und Staat zugleich vertilgen möchte. Daher die allerdings gewaltige Ausbreitung dieser Opposition; es ist das gesammte Reichsanzeiger-Publikum, das gesegnete deutsche Philisterthum, was diese Lehren und Begriffe ganz herrlich und sonnenklar findet. Traurig ist freylich, daß unsere Großen so wenig ahnden wo der Grund des Uebels liegt, und daß Sie selbst den größten Theil haben an dem Umsichgreifen solcher Seichtigkeit. Haben sie doch selbst alles begünstiget was platt und gemein verständlich ist, alles Tiefere und über das gemeine BegreifungsVermögen Erhabene als Mysticismus verdammt und verfolgt, ohne zu bedenken, daß die Haupt-Ideen auf denen der Monarchismus beruht, gar sehr mystischer Natur sind. – –

Ich weiß nicht, wie ich mich (denn so lange ist es, daß dieser Brief angefangen worden) so weit in die Politik des Augenblicks eingelassen habe, vielleicht ist es noch eine Folge meiner Krankheit, denn man thut wahrlich dem armseeligen Treiben, von dem im Vorhergehenden die Rede war, zuviel Ehre an, sich dagegen oder dafür zu ereifern, und – den Staat wird es doch nicht umwerfen.

Unser gemeinschaftlicher Freund Hjort hat so ziemlich den ganzen hier zugebracht, und ist erst von hier nach Stuttgardt abgereißt, wohin ich ihm in wenigen Tagen folgen werde. Es scheint ihm doch besser in München behagt zu haben, als Ihnen, der uns aller seiner Versprechungen unerachtet, vorbeygieng.

Im Begriff, eine Reise anzutreten, von der ich nicht weiß, wie bald ich zurückkehre, muß ich diesen Brief, nachdem ich dessen Beendigung so lange aufgeschoben, wegen der mancherley Arbeiten, die mir noch obliegen, nun schnell abbrechen.

Ich füge nichts bey, als die Bitte meiner nicht zu vergessen, und mir gegen den wenigstens wieder zu schreiben und den Wunsch, daß es Ihnen in allen Stücken wohl gehe. Auch mir wird es mit Gotteshülfe wieder so wohl werden, wieder in ein lebendigeres Verkehr mit der Welt und zunächst mit meinen Freunden zu treten, unter denen mir keiner inniger und näher ist, als Sie.

Nochmals herzliches Lebewohl von
Ihrem

Schelling.