Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Sr. Wohlgebohrn

Herrn Dr. Gries

in

Jena.

Es ist mir unmöglich, das alte Jahr zu Ende gehen zu lassen, ohne meine große Schuld bey Ihnen, liebster Freund, soweit als seyn kann zu tilgen. Noch haben Sie meinen Dank nicht erhalten für den zweyten Theil Ihres Calderon, noch liegt Ihr Brief vom , der den dritten begleitete unbeantwortet vor mir. Was müßten Sie von mir denken, dürfte ich nicht auf dasselbe Gefühl in Ihnen rechnen, das mir sagt, daß wir nie aufhören können, Freunde zu seyn, und das alte Sprichwort von der Liebe, daß sie, alt, nicht rostet, wenn nicht von jeder Freundschaft, doch gewiß von der unsrigen gilt. Ich will Sie mit der ganzen Litaney von Klagen verschonen, die ich anheben könnte über die vielen, unseligen Zerstreuungen meines hiesigen Lebens, zu denen bisweilen, wie es natürlich ist, wenn der Mensch nicht ganz nach seiner Neigung arbeiten kann, sich eine gänzliche Unaufgelegtheit und Verdrossenheit zu allem gesellt, wär’ es auch ein Brief an einen so lieben und innig werthen Freund wie Sie. Wie es mir nun in solcher, gar oft nicht zu vermeidenden, Selbstentfremdung eine wahre Wohlthat ist, durch den Brief und das herzliche Andenken eines alten Freundes wieder in mein Inneres geführt zu werden, so sind mir besonders die Sendungen des Calderon in unsrer poëtischen Dürre ein wahres Labsal. Sie sehen aus dem oben Erwähnten schon, daß Ihre Besorgniß, als hätte ich den Brief vom , mit dem Zweyten Theile des Calderon nicht erhalten, ungegründet ist. Er ist mir allerdings obwohl ziemlich spät zugekommen, und sollten Sie den Undank nicht künftig an mir strafen (denn so lang verzögerter Dank ist fast als Undank zu rechnen) so bitte ich Sie, nur immer sich zu solchen Sendungen der fahrenden oder reitenden Post zu bedienen, jedoch ohne zu frankiren, da ich hier Postfrey bin. Was soll ich Ihnen von den Herrlichkeiten der neuen Calderon’schen Stücke sagen, mit denen Sie mich bekannt gemacht haben, was von der Trefflichkeit Ihrer Übersetzung? Das interessanteste war mir allerdings der Magus, wegen der nahe liegenden, auch von Ihnen berührten, Vergleichung mit unsrem Deutschen Faust. Die beyden Dichter unterscheiden sich doch von allen andern, die an demselben Stoff sich gewagt haben, so auffallend und stimmen dagegen in wesentlichen Zügen wundersam überein, wie in der Anknüpfung an Wissenschaft, und im verklärenden Ende, das doch auch der Deutsche Dichter im Sinn gehabt hat. Sie genießen das Vergnügen, daß ein dankbares Publicum Ihrer Kunst und dem innigen Dichtergefühl, womit Ihre Übersetzung durchdrungen ist, volle Gerechtigkeit widerfahren läßt. Insofern bedarf es keiner besondern Aufforderung oder Aufmunterung, daß Sie ja fortfahren. Möchten Sie uns andern, die nicht einmal Muße finden, spanisch zu lernen, nicht auch einmal den Dienst erzeigen, uns mit einem der schönsten Autos sacramentales bekannt zu machen? – Wie weh thut das Gefühl, in einem Brief so sehr im Allgemeinen bleiben zu müssen! Wir haben beyde so viel Gemeinschaftliches und von allem, was sich in dieser Zeit begeben und begibt, wird dem Menschen das Herz so voll, daß Briefe zwischen Freunden, wie wir, kaum ausreichen, und ich darf dieses auch anführen als einen Grund, warum ich so schwer mich zum Briefschreiben entschließe. Man hätte soviel zu sagen und kann es doch nicht, und lieber als in allgemeinen Reden möchte man dem Freunde gar nicht schreiben. Da bleibt kein andrer Rath, als daß Sie Einmal sich doch entschließen, den Wanderstab auch wieder in diese Gegend zu setzen. Auf viel Schönes und Herrliches kann ich Sie immerhin einladen. Zunächst die Abgüsse der atheniensischen Alterthümer, von denen ich behaupten möchte, daß kein Kunstkenner oder Forscher sich das vorstellen kann, was sie sind, und die man schlechterdings gesehen haben muß, um von aller falschen Ansicht gründlich und gänzlich befreyt zu werden. Dann bald auch das große Museum von alten Kunstwerken, das unser Kronprinz zusammengebracht, und das keines seines Gleichen in Deutschland, wenige in der Welt zählen wird. Das ist freylich auch fast alles bey uns, und unter der übrigen Umgebung wird auch dieses fast zu Stein, aber für Etwas rechnen Sie doch gewiß auch, einen alten Freund wieder zu sehen. Wie sollte es mich freuen, mich einmal wieder in trauliche Unterredung mit Ihnen zu ergießen! Sie sind so leichtgeschürzt; eine Reise nach München ist für Sie der Entschluß einer Nacht; bey mir thät’ es Noth, gleich die 4 Kleinen mitzuschleppen, die zu Hause recht artig und allerliebst, aber zu Reisen doch nicht allzu bequem sind.

Ich habe Ihnen nicht gedankt – aber nichts desto weniger habe ich mich erfreut über Ihre Äußerungen wegen meiner Kabiren-Abh˖[andlung], die so wenige verstanden haben. Sie glauben auch noch an die Weltalter, was viele aufgegeben haben, meynend, weil ich so lang geschwiegen, es sey mit mir gar aus. Das ist’s doch nicht, und meine Zeit wird kommen.

Herzliche Grüße von meiner lieben Frau und Bitte von uns beyden, uns in freundlichem Andenken zu behalten. Unverändert
Ihr
treu erg[e]bner

Schelling.