Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Noch immer muß ich schreiben und werde es noch eine Zeitlang müssen. Was wir neulich fürchteten, liebste Mutter, war nur zu wahr; noch an dem nämlichen verloren wir unsre süßeste Hoffnung. Rettung war nicht möglich und es bleibt mir nichts als die traurige Pflicht Ihnen diese herzerschütternde Nachricht zu geben. – Ich beeile mich, bis zur ausführlichen Erzählung nur mit zwey Worten beyzufügen, daß Pauline ohne Gefahr ist, daß sie nicht zu viele Schmerzen ausgestanden, daß sie mehr Fassung bewiesen als ich erwartete.

Liebste Mutter, es ist wahrlich nicht meine Schuld, daß ich Sie mit dieser schmerzhaften Nachricht in dem Grad überrasche; ich selbst war es in noch höherem von dem unglücklichen Ereigniß, das Herr Fischer mir als gänzlich nun beseitigt und nicht mehr zu erwarten vorgestellt hatte, nachdem am ##schmerzen durch ein Lavement gänzlich waren gehoben worden. waren wir ganz vergnügt, indem alles auf Blähungen in den Gedärmen geschoben war; die Nacht und der folgende Vormittag (), an dem ich den letzten Brief schrieb, war ruhig; Pauline guter Dinge, voll Hoffnung und munterer Laune, aber Nachmittags 3 1/2 Uhr kamen langsam neue Schmerzen, die sich endlich in wahre Wehen verwandelten. Fischer machte noch seine Verordnungen; eine geschickte Hebamme war anwesend; Abends 8 1/2 Uhr war alles beendigt. Das Kind, ein schöner etwas über 3 Monat alter Knabe, schon ganz formirt, und für die Zeit sehr groß und lebenskräftig, war schon 3 Stunden früher ausgetrieben worden.

Dieß die kurze Geschichte der traurigen Katastrophe, welche uns die Vergangenheit vernichtet hat und die Zukunft raubte; das Kränkendste, was meinem Gefühl widerfahren konnte, höchst schmerzlich für Pauline, und eine, der Himmel weiß wie lange daurende Störung unsres Glücks.

Es ist so natürlich, nach dergleichen Ereignissen sich um die Ursachen zu erkunden. – Hier was ich davon weiß! – Ich kann nicht umhin, zu glauben, daß die unselige Reise nach Nürnberg den Grund dazu gelegt, die erste Disposition hervorgebracht. Es war nicht meine Absicht, P˖[auline] mitzunehmen; ich bat sie erst, hier zu bleiben und schlug ihr vor, so lange Mme. Köhler zu sich zu nehmen; sie wollte das nicht; ich frage Fischer in der Erwartung, daß er es abschlüge: zu meiner größten Verwunderung findet er die Reise nicht allein unschädlich, sondern sogar nüzlich und erwünscht; jetzt war kein Rath mehr; gegen mein Gefühl und ganze Ansicht der Sache mußte ich mich entschließen, P˖[auline] mitzunehmen. Vielleicht hätte ich eher alles aufgeboten, die Reise oder wenigstens den Auftrag an mich rückgängig zu machen, wenn nicht die eigne Meynung und die Versicherung andrer mich zu der Vorstellung gebracht hätten, daß in dieser Hinsicht für Paulinen weniger zu fürchten wäre. Die Erschütterungen des Fahrens, (dreymal, des Tags 24–26 Stunden), die Erhitzungen und Erkältungen, die beständige Gêne des Erbrechens in dem nämlichen Wagen mit Langer – Ursachen genug, der guten Frau zu schaden! Marcus war der nämlichen Meynung; nur hätte er sie nicht vor P˖[auline] äußern sollen, die dadurch auf dem Rückweg sehr apprehensiv geworden war. – Seit der unglücklichen Reise nahm ich eine deutliche Veränderung wahr; sie verlor ihr blühendes Aussehen, das sie noch in Augsburg gehabt hatte, das Gesicht wurde länglich; es zeigten sich von Zeit zu Zeit Durchfälle, die jedoch bald wieder nachließen. Selbst der Umzug in die Stadt, da er für sie mit keinen großen Anstrengungen verknüpft war, machte den Zustand nicht schlimmer; aber jetzt galt es die ersten Einrichtungen; es war aus der besten Absicht, dem edelsten Trieb, daß unsre gute Pauline alles selbst anordnen wollte; aber leider war jetzt nicht die Zeit dazu; alle Ermahnungen und Bitten noch am letzten Tag vor dem ersten Anfall, da ich wohl dreymal des Morgens nur in der Küche war, sie zurückzuholen, halfen nichts; und ihre durch das Übelseyn ohnedieß empfindliche Laune erlaubte kein ernstes strenges Wort. So, kann ich sagen, bin ich gleichsam mit sehenden Augen und unter beständigen Kämpfen dagegen doch in das Unglück hineingerathen. – Am Freytag den früh kam der Schrecken über den Tod meines guten Vaters, den sie unvermuthet durch Anblick eines schwarzen Sigels auf Karls Briefe vor Augen sah. Sonnabend den kam heftiges Kopfweh; in der Nacht auf den der erste Blutabgang, der abwechselnd aufhörte und wiederkam bis zum Ende. In dieser Zeit ist gewiß nichts versäumet worden. Pauline kam nicht vom Sopha; wurde täglich ins Bett und aus dem Bette getragen, das einzige was schaden konnte, waren die nicht immer abzuhaltenden Besuche. –

Jetzt ist Pauline freylich noch sehr angegriffen; sie kommt nicht aus dem Bett; und schont sich in jeder Hinsicht, der Blutverlust war verhältnißmäßig nicht sehr stark; desto größer ist der Andrang der Milch, wovon sie leidet; man sieht, wie sehr die Natur sie für die Mütterlichkeit bestimmt. Es ist doppelt schmerzhaft, bey so guten glücklichen Anlagen auf so erbärmliche Art um seine erste Hoffnung zu kommen. Im Grunde kann dieß doch nie ersetzt werden. Bedauren Sie uns, liebe Mutter, es ist ein eignes Verhängniß, was wir in der Zeit von 4 Monaten erfahren mußten.

Ich sehe ein, daß es mit unsrer bisherigen Lebenseinrichtung nicht fortgehen kann. War P˖[auline] nicht so allein, so verlangte sie die Reise nicht mitzumachen; oder schonte sich doch wenigstens die ersten 8 Tage in der Stadt. Der wird traurig für uns beyde seyn, ich muß den größten Theil des Tags arbeiten; Pauline wird allein sitzen; auch die Abende, wenn wir beysammen sind, werden wir uns einsam vorkommen. Ginge es auf den Frühling zu, so würde ich keinen Anstand nehmen, Paulinen, so bald sie sich erholt, nach Gotha zu bringen und sie den ganzen Sommer da zu lassen. So ist es unmöglich. Pauline fragt, ob sich denn keines von den ihrigen entschließen wolle, unter diesen Umständen hieherzukommen und den Winter bey ihr zuzubringen. Das Liebste wäre ihr die Mutter. P˖[auline] meynt, so wie sie Schäzlers kenne, würden diese nichts dagegen haben, wenn Mutter ihnen die Umstände schriebe, daß Rickchen auf ein paar Monate Julchen übergeben würde. – Was mich betrifft, so wünsche ich die Hierherkunft der lieben Mutter oder Julchens ebenso lebhaft.

Pauline hatte Pflege wahrlich nöthiger in der Zeit ihrer Schwangerschaft, als sie es in den Wochen gehabt haben würde. Nur unter dem heftigsten Widerstreben ihrer ganzen Natur konnte das arme Kind sich festsetzen; meine Gegenwart wirkte statt zu beruhigen nur größeren Aufruhr. Es war zwischen uns ein Rapport entstanden, den ich magnetisch nennen muß in Ansehung der Wirkung selbst in die Ferne; dieser Rapport war für Paulinen nicht vortheilhaft; die Gegenwart eines Dritten war beruhigend und erleichternd. Sie können sich vorstellen, was sie gelitten hat, da sie so viel mit mir allein seyn mußte. Auch in andrer Hinsicht wünsche ich sehr, daß jemand von ihrer Familie um sie seyn möge. In Sachen der Diät wird es dem Gemahl erstaunend schwer auf die Frau zu wirken; sie sieht seine Foderungen als lästige Wirkungen einer häuslichen Tyranney an, so lange sie nicht durch Erfahrung belehrt ist. In manchen Fällen hatte ich bis jetzt selbst keine Erfahrung, und konnte also um so weniger Glauben fodern. Es ist für mich eine äußerst schwierige Sache, meine Pflicht in der Hinsicht zu erfüllen, und der Verantwortlichkeit, die ich gewissermaßen für sie übernommen, Genüge zu thun. Die Gegenwart irgend einer Person ihrer Familie, vorzüglich aber der lieben Mutter würde mich ganz ungemein beruhigen. Doch was rede ich von mir? – Die arme Pauline ist allein zu beklagen. Sie fühlt ihren Verlust jetzt noch nicht einmal recht, weil sie zu matt ist; allein das wird ihr alles noch sehr nahe gehen. Die Gesellschaft, die ich ihr leiste, tröstet sie nicht; wir sind uns zu nahe und jeder Augenblick wird ihr durch den Gedanken gestört, daß ich auf ganz andre Art beschäftigt seyn sollte.

Lassen Sie mich nun, liebste Mutter, Ihren Entschluß wissen; – einrichten ließe sich alles; ob Sie übrigens wollen, hängt von Ihnen ab; ich habe für Pflicht gehalten, Ihnen alles zu sagen wie es ist. Ich hätte Ihnen gern einen gefaßteren Brief geschrieben; es war nicht möglich, ich leide zu sehr; der Vorfall thut mir zu weh im eigentlichen Verstande; ich muß mir außerdem so viel Gewalt anthun. –

Pauline bittet, die liebe Mutter oder Julchen wolle doch an Gretchen schreiben, da sie es sobald nicht können würde. Ferner statt 1 ## Wolle 2 ## schicken. Pauline hat Ihnen eine Addresse nach Nürnberg für die Kiste geschickt. Haben Sie nur die Güte, die Kiste unmittelbar hieher an Frau Direktorin Schelling, vor dem Karlsthor links No. 9 zu addressiren; wir kommen auf diese Art besser durch. Was neue Waaren sind muß soviel möglich beyseitgepakt werden, was gemacht ist, gilt schon nicht für neu.


Die herzlichsten Grüße von Pauline. Sie dürfen, wie es jetzt steht nichts für sie fürchten. So scheint es mir; so wird es mir versichert. Versäumt wird nichts; sie hat 2 sehr gute Mädchen, die sie bestens bedienen. Ach liebe Mutter, wie weh thut es mir, Ihnen die 2 Blätter zu schicken; wie gerne schickte ich bessere! Sie müssen aber doch fort; es ist leider wahr was sie enthalten. Hab’ ich es zu gerad’ hingesetzt, so halten Sie es zu gut; mein Kopf ist zu sehr angegriffen um vieles Nachdenkens fähig zu seyn. Der Himmel erhalte Sie alle gesund und geb’ uns bald Beruhigung von Ihrer Seite.
Ihr
treuerg˖[ebenster]

F. S.