Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Seit Ihrem letzten Schreiben, lieber Freund, bin ich wieder stark in’s Arbeiten gekommen; daher die verzögerte Antwort. Das Thema, das Sie sich zu bearbeiten vorgesetzt, ist von der größten Wichtigkeit, ich meine das von der Kraft der Wissenschaft in Bezug auf das Leben. So sehr ich davon durchdrungen bin, daß namentlich unser Heil allein in durchgebildeter Wissenschaft und daraus wieder entstehender lebendiger, gediegener Erkenntnis besteht, (denn wie mag der Zweifeler oder der blos glaubt im vulgären Sinne, d.i. meint, Großes vollbringen?), so bin ich doch nicht im Stande, diese Materie nach Würden auszuführen, wünsche aber um so mehr ein tüchtiges durchgreifendes Wort von dem einen oder andern Gleichgesinnten, vornehmlich von Ihnen. Können meine Worte bei Ihnen gelten, so lassen Sie sich doch ermuntern zu ungesäumter Ausführung Ihrer Gedanken; je eher ich eine davon handelnde Rede für meine Zeitschrift bekommen kann, desto lieber! Ich habe die Sache nur berührt in dem Vorwort zum ersten Heft meiner Zeitschrift, aber schon zum voraus auf den nachfolgenden Aufsatz eines Freundes verwiesen.

Friedrich Schlegel wird seinen Zweck nicht erreichen und sich in manchem Betracht getäuscht finden. Das, was er durch Abschwörung der Wissenschaft errungen zu haben meint und auch nur so erringen zu können glaubte: das und noch weit mehr (da es ihm namentlich an aller Naturanschauung gebricht) habe ich auf dem Wege der Wissenschaft vorlängst gefunden und erreicht. Er kommt freilich insofern zum Theil auf das Rechte, als er sich ganz an das Positive anschließt; aber er verderbt es im Grund und macht es auf’s Neue zweifelhaft durch die Sophistik, die es begründen soll. Seit seinen historischen Vorlesungen halte ich ihn in Ansehung dieser Kunst zu Allem fähig. Von jeder Art der Ausübung derselben ist doch die historische Sophistik die allerempörendste. Die Recension von Jacobi’s Buch ist in gewissem Betracht ein Meisterstück derselben Art; doch hat es mich gewundert, wie er auf seinem Wege zu einigen Gedanken gekommen ist, welche eine auffallende Bestätigung der meinigen sind. Jacobi war, doch vermuthlich mehr des Contrastes mit meinem Buch als des eigentlichen Inhalts wegen, sehr erfreut über die Recension, hat sich gleich in Briefwechsel mit dem einst über alles Gehaßten gesetzt, ihn zum auswärtigen Mitglied der Akademie vorgeschlagen. Ich rechne und erwarte nicht anders, als daß es zwischen Fr. Schlegel und mir noch einmal zur deutlichen Erklärung komme. Ich meinerseits bin dazu bereit und wünsche nichts Anderes.

Sobald Sie also, geliebter Freund, mit der mir bestimmten Abhandlung fertig sind (sogleich nach dachten Sie mir dieselbe zuzusenden), bitte ich, sie abgehn zu lassen. Der Druck des ersten Heftes beginnt in wenigen Tagen. Für dieses habe ich ein wahres Kleinod in einem höchst naiven Briefe Eschenmayer’s, den er über meine Abhandlung von der Freiheit an mich geschrieben. Das Geheimnis des sogenannten Nichtwissens und der damit verbundenen Ansicht ist so darin ausgesprochen, daß nichts zu wünschen übrig bleibt. Aus diesem Grunde, auch weil es mir nicht wichtig genug war, ihm privatim zu antworten, habe ich mir das Sendschreiben zum Druckenlassen ausgebeten; meine Antwort erscheint ebenfalls im ersten Heft und wird den Schleier vollends wegziehen. Könnte ich das unmittelbar nachfolgende zweite mit Ihrer Abhandlung anfangen, so wär’ es mir höchst erwünscht. – Wann erscheint denn nun Ihr Heft über Magie? Ich erwarte es mit großer Sehnsucht und bitte, es mir ja gleich zu schicken, sobald es die Presse verläßt. Wir müssen uns da gewiß oft begegnen.

Nun leben Sie recht wohl im Kreis Ihrer lieben Kinder, grüßen Sie alle die Ihrigen von mir mit dem Gruß herzlicher Freundschaft und schreiben Sie bald wieder Ihrem alten Freund, der nie aufhören wird es zu sein.

S.