Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Wohlgebohrner Herr,
Hochzuverehrender Herr Professor!

Indem ich mich eben anschickte, Ew. Wohlgebohrn für die Übersendung der Anzeige Ihrer Zeitschrift und die gütige Einladung zur Theilnahme an derselben meinen Dank abzustatten, erhielt ich durch Ihre besondere Gefälligkeit das erste Heft derselben, welches ich nun durchaus erst lesen wollte, ehe ich antwortete. Es ist ein Gedanke, zu dem man unserer Zeit gewiß glückzuwünschen hat, daß ein Mann Ihres Geistes und Ihrer Gelehrsamkeit es unternommen, eine Zeitschrift für die Geschichte und Auslegung der alten Kunst anzufangen; und durch die Theilnahme an derselben, zu welcher Sie mich so gütig eingeladen, würde ich mich gewiß hochgeehrt fühlen. Allein es hat mit meinen besonders mythologischen Forschungen, die eigne Bewandniß, daß ich das Einzelne schlechterdings nur durch das Ganze zu erklären weiß. Bey einer abgeschlossenen Cultur wie die samothracische, die ein Ganzes für sich bildet, ließ sich etwa ein Versuch wagen, der jedoch, wie sich nachher gezeigt, bey dem Vielen, das nothwendig unberührt, und so manchem Widerstrebenden das unwiderlegt zurückgelassen werden mußte, doch nicht diejenige Überzeugung bewirken konnte, welche sich vielleicht von der Ausführung des Ganzen versprechen läßt. Ich glaube also, der Wissenschaft, so ich ihr anders zu nützen vermag, den größeren Dienst zu leisten, wenn ich, alles einzelne bey Seit setzend, vor allen Dingen den ausgeführten Grundriß des ganzen großen Systems vollende, dessen disjecta membra ich in der Mythologie aller Völker zu erkennen meyne. Inzwischen werde ich in der Stille auch an jeder einzelnen Untersuchung lebhaft Antheil nehmen und sie zu meinem Zwecke zu benutzen suchen. Insbesondre verdanke ich dem ersten Heft Ihrer Zeitschrift, namentlich der ersten und zweyten Abh˖[andlung], viele Belehrung und bin überzeugt, daß Sie in manchem Einzelnen, besonders in Einigem, da Sie zu verneinen Ursache gefunden, vollkommen richtig gesehen.

Es würde mir zu wahrem Vergnügen gereicht haben, das gütige Geschenk Ihrer Zeitschrift durch Übersendung des von mir herausg˖[egebenen] Berichts über die aeginetischen Bildwerke einigermaßen zu erwiedern. Allein durch unglücklichen Zufall erhielt ich so wenig Ex˖[emplare] desselben zu meiner Verfügung, daß ich dieses nicht konnte. Ich zweifele nicht, daß der Gegenstand für Sie Wichtigkeit genug hatte, um sich mit diesem Bericht bekannt zu machen. Es sollte mich sehr freuen Ihre Ansicht der Sache, entweder schriftlich oder in Ihrer Zeitschrift oder durch die Göttingischen gel˖[ehrten] Anz˖[eigen] zu erfahren. Diesen kam Hofrath Hirt aus Rom zurück, den Sie wahrscheinlich auch in Göttingen gesehen. Er hatte bey sich eine Zusammenstellung der äginetischen Figuren von Cockerell und gründete auf dieselbe eine allerdings sehr einleuchtende Erklärung der Bedeutung der Gruppen in den beyden Giebelfeldern. Unglücklich ist aber, daß durch diese Zusammenstellung nicht alle Figuren untergebracht werden. Es sind noch Köpfe, Arme, Beine genug vorhanden, – in vollkommen gleichem Styl mit dem übrigen gearbeitet und an denselben Oertern gefunden, welche nach dieser Zusammenstellung keinen Raum finden. Hiedurch wird leider die Sache wieder zweifelhaft.

Von Original-Antiken (um noch auf diesen Punct Ihres ersten Schreibens zu antworten) besitzen wir hier öffentlich, einige wenige bey der Akad˖[emie] der bild˖[enden] Künste ausgenommen, (eine antike Wiederholung des Jason , trefflich erhalten und von der schönsten Arbeit, und des borghesischen Faun’s, ebenfalls von herrlicher Arbeit, dann eine Statue, die zu einem Bacchus ergänzt worden und die eines römischen Redners) – außer diesen also besitzen wir hier bis jetzt öffentlich keine; denn die großen, und alle Meynung übertreffenden Kunstschätze unseres Kronprinzen sind noch alle verschlossen, und sollen nicht eher als nach Vollendung des Gebäudes sichtbar werden; auch ein Verzeichniß derselben hat der Prinz mehrmals verweigert. – Die Abgüssesammlung der Akademie hat außer den sämtlichen Pariser Abgüssen, noch den Farnesischen Hercules, die Farnesische Flora, den einen Colossen von Monte Cavallo und verschiedenes andres; wir erwarten jetzt einen Abguß der Basreliefs von Phigalia und Abgüsse der Elgin’schen Bildwerke aus London.

Ich bitte Ew. Wohlgeb˖[ohrn] auch um fernere gütige Mittheilungen, und bin mit der vollkommensten Hochachtung
Ew. Wohlgebohrn
ergebenster

Schelling.