Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Empfangen Sie, verehrter Freund und Lehrer! meinen innigsten Dank für Ihr treffliches Buch! Es hat mich in jeder Hinsicht befriedigt und ich theile auch die Stimme derer nicht, welche eine fein ausgesprochene Lüge verzeyhen, während sie eine derb, aber wahrheitsvoll gerügte Lüge bis in den Abgrund der Hölle verdammen. Den Meynungen solcher Menschen aber wächst der vor aller Augen 10 Mal abgeschlagene Kopf immer wieder von Neuem. Ich begnüge mich daher solchen Menschen blos Christ’s Otterngezüchte und die gegen die Mäkler im Tempel geschwungene Geißel und Luther ’s Kraftworte vorzuhalten und dann – ohne Antwort abzuwarten – kurz abzubrechen. Der Tadel solcher personifizirten Nullitäten verschwindet in seinem Nichts, während das Denkmal nicht blos ein Denkmal Jacobi’scher Schwachköpfigkeit und Herzensenge, sondern auch eins für die gediegene wißenschaftliche Polemik, wo der Gegner immer auf seinem eignen Felde geschlagen wird, immer und ewig in der literarischen Welt leben wird.

Von jenen Schwätzern unendlich verschieden ist eine andere Klaße von Urtheilern, welche weder die Sünde des Gegners, noch das Recht des Vertheidigers verkennen; aber dennoch jenen beklagen, daß er nicht, statt auf die ewige Folter gelegt, kurzweg geköpft wurde und auch diesem, dem Vertheidiger, wünschen, er möge Herr seiner seit behaupteten philosophischen Ruhe lieber seyn, die sie durch die Vertheidigung mehr gefährdet glauben, als durch den unrechtlichen Angriff. Die meisten dieser Klaße wünschen den »Sykophanten«, und die »Doppel-Larve« weg.

Eine dritte Klaße von Lesern ist ganz für die Schrift, weil diese ihnen den Wahn läßt, als könnten sie das Buch und mit ihm das ganze System verstehen oder vielmehr als hätten sie es verstanden, und weil sie darin den scharfen Witz finden, der ihnen allein das Ernste und Heilige erträglich macht. Mich argert das Lob solcher Menschen immer, ob ich mir gleich nicht verberge, daß es selbst für die Wißenschaft, die ins Leben durchdringen will, nicht gleichgültig ist, ob solche Weltmenschen ihre Stimme, die eigentlich nicht stimmen sollte, dahin oder dorthin giebt. Ich setze Ihnen eine Stelle aus einem Briefe her, den der Repräsentant einer ganzen Klaße von Menschen in Deutschland an den Prof. Tafinger schrieb:

»So eben lege ich Schellings Denkmal für Jacobi aus der Hand, ein in jeder Hinsicht äußerst interessantes Werk, das Sie so bald, als möglich lesen müßen. Der arme Jacobi ist im höchsten Grade gebrandmarkt und das Buch mit einer Klarheit geschrieben, die ich Schelling nicht zugetraut hätte. Ich bitte Sie, keinen Augenblick zu versäumen, dieses wichtige Buch, das sehr große Folgen haben muß, hohlen zu laßen. Noch mehr, wie Jacobi, – denn dieser hat sich sein Unglück sebst zugezogen – bedauere ich Herrn K˖[öppen] p (und nun geht der Schreiber, Graf Mandelsloh, auf einen andern Gegenstand über)

Die beste Klaße von Lesern ist wohl diese, und zu ihr rechne ich mich auch, welche es aufrichtig beklagt, daß die Scham- und Ehrlosigkeit der Philosophaster, da man mit der neuen Philosophie zum philosophischen Leibe ihrer Nichtphilosophie gieng und die nun nichts Beßres zu thun wußten, als zu schimpfen, zu ridiculisiren, zu verdrehen und zu verketzern, um nur sich noch für etwas geben zu können, eine solche Züchtigung nothwendig machte; die es deswegen beklagt, weil der Anblik der Züchtigung immer etwas Unangenehmes hat und dem Strafenden beynahe mehr weh thut, als dem Gestraften, wenn er das Gefühl seines Unrechts aufkommen läßt; die es aber dankbar erkennen, daß der Gewalthaber bey der Strafe auch den hohern Zweck der Strafe – die Belehrung und Beßerung für Alle – im Auge behielt.

Für das, was Sie mir zu meiner Warnung über M˖[eyer] schrieben, danke ich Ihnen recht sehr. Noch glaube ich nicht an die Abscheulichkeiten, die man Ihnen von ihm gesagt hat und um so weniger, weil ich den Ungrund einiger, ebenfalls entehrenden, Anecdoten, juridisch bewiesen erhielt; aber dennoch ist Vorsicht bey einem Menschen nöthig, der wenigstens höchst unvorsichtig gehandelt haben muß, um nur in einen solchen Ruf kommen zu können.

Das Scandalum, daß man einen jungen Ausländer, der sich noch durch nichts ausgewiesen hat, hier anstellte und den anerkannt tüchtigen Pfister unangestellt ließ, gebe ich Ihnen zu und ich danke dem Himmel, daß es vor meiner Zeit gegeben wurde, wenn es doch einmal gegeben werden sollte; allein von der Erbärmlichkeit des Dr. Dresch habe ich auch noch keine Belege. Er ließt seine Collegia fleißig und nicht ohne Geschmak. Daß ihm die höchste Idee der Geschichte nicht aufgegangen ist, nicht aufgehen wird, ist ein Schiksal, das er mit den meisten berühmteren Historikern theilt. Wollte er mir aber einmal etwas bieten und etwa scheiden wollen von uns, ich würde keinen Augenblik säumen, ihm glükliche Reise zu wünschen und uns Glük, wenn Pfister an seine Stelle treten möchte.

Wenn ich Ihr »wenn es sich schickt« misverstand, so liegt der Entschuldigungsgrund dieses Misverständnißes in der Ueberzeugung, daß es unmöglich sey, mich, der ich mich überall so gebe, wie ich bin, für einen Mann zu halten, bey dem solche Floskeln für unvornehme Vornahme angebracht wären. Vergeben Sie mir also um meines Stolzes Willen das Unrecht, was ich Ihnen angethan. Ich hatte Eschenmayern von der ganzen Sache nichts gesagt, bis er mir heute einen lieben (mir sehr lieben) Brief zeigte, in welchem Sie Selber davon gesprochen hatten. E˖[schenmayer] willigt gern in Ihren Wunsch und freut sich auf Ihre gedruckte Antwort. Ich bin herzlich froh, daß Sie ihn zwingen werden tiefer in Ihr System einzugehen, das er eben auch nur von einer Seite kennt und versteht. Ueberhaupt glaube ich selber, daß es für Tubingen, für die Wißenschaft und für Eschenmayer selber ein glüklicher Gedanke war, ihn hierher zu ziehen. Es ist doch etwas ganz anders in Einem Stück fort eine Sache durchzudenken, als dann, wann man von fremdartigen Berufsgeschäften ermattet ist. Doch ist auf der andern Seite auch nicht zu läugnen, daß die durchlaufene praktische Laufbahn seiner jetzigen guten Vorschub leisten mag. Das, was Sie mir jezt in Hinsicht auf E˖[schenmayer] rathen, war mein erster Gedanke, als mein liebster Plan auf Sie gescheitert war; allein dieser Gedanke schien wieder an E˖[schenmayer]’s Abneigung, sich in das Facultätsjoch zu spannen, scheitern zu wollen. Doch wird der hoffentlich nachgeben. Ich wenigstens bin in jedem Falle entschlossen, Ihrem guten Rath insofern zu folgen, daß ich, wenn mir, was ich nicht fürchte, nicht einer aufgedrungen wird, keinen Prof˖[essor] der Philosophie berufe. Dazu bestimmt mich nun noch mehr Ihr herrliches Anerbieten, dem Vaterlande einen tüchtigen Philosophen zuzubilden. Wenn nur das Subject dazu schon gefunden wäre? Zwey junge Leute geben mir Hoffnungen – der Repetent Köstlin (den Sie ja personlich kennen und der einer Ihrer eifrigsten Anhänger ist und M˖[agister] Schwab, der sich auch als Dichter angekündigt hat – allein noch wage ich nicht etwas Entscheidendes über sie zu urtheilen. Ich habe E˖[schenmayer] aufgefordert, sie scharf ins Auge zu faßen.

Niederers Schrift ist (sonderlich die zweyte Auflage davon) wirklich bedeutend und würde Sie nicht unangenehm in einer Erhohlungsstunde unterhalten. Auch ihm wirft man Derbheit, Arroganz pp vor, weil er scamnum scamnum nennt. Am meisten schreyen die sogenannten Pestalozzianer. Es thut ihnen gar zu weh, daß sie von Pest˖[alozzi] nichts verstanden haben sollen. Ihm wird freylich Ihre Schrift wichtiger seyn, als Ihnen seine; allein Ihr Ziel – Ihr System die ganze Denkart, auch die ins Leben wirkende, umwälzen zu lassen – kann Ihnen Niemand näher rücken und den Weg dahin beßer reinigen, als Er, wenn’s gleich nur Wenige merken. Die Stelle Ihres Buchs S. 102 wird ihn entzücken. Sie ist von der höchsten pädagogischen Wichtigkeit und betrifft gerade den Punkt, in welchem er sich von Fre[u]nd Eschenmayer scheidet, den Pestalozzi’s Rede zu Prologomen für jede künftige Pädagogik begeistert hatte, die auch nächstes in der Wochenschrift gedruckt erscheinen werden.

Leben Sie wohl mein bester, theuerster Freund! Ganz der Ihrige

Wangenheim

Pasigraphie nicht zu vergeßen!