München .
So bald als es meine Kräfte erlauben, schreibe ich Ihnen, geliebter Freund! Auch ohne meine ausdrückliche Versicherung waren Sie gewiß versichert, welchen herzlichen Antheil ich an Ihrem Befinden nehme. Noch eh’ ich selbst krank wurde, hätte ich Ihnen geschrieben, aber von Zeit zu Zeit hörte ich ganz beruhigende Nachrichten über Sie, unter andern auf der Rückreise aus Carlsbad in Regensburg, wo man mir sagte, Sie hätten sich nie besser befunden. Jetzt, eben da ich selbst anfange, mich zu erholen, erfahre ich von unsrer lieben Freundin, welcher ein Brief der edlen Francisca von Stengel dieß berichtet, daß Sie neuerdings krank sind. Doch tröstet mich, zugleich zu hören, daß Ihre gegenwärtige Krankheit mehr allgemeine Schwäche, als eine Local-Affection zur Ursache hat. Gegen jene gibt es, Gott sey Dank! in der Welt noch Mittel. Fassen Sie nur guten Muth! Sie glauben nicht, in welchem Grade auch ich durch Krankheit und starke Blutentziehungen geschwächt war, aber mit Gottes Hülfe und durch kräftige Nahrungsmittel habe ich mich in nicht allzulanger Zeit wieder erholt.
Nur, wenn ich aus eigner Erfahrung Ihnen rathen kann, enthalten Sie sich vorerst alles Weins und selbst aller Weinspeisen. Kräftige, concentrirte Fleischbrühen, erst leichtverdauliches späterhin auch stärkeres Fleisch sind das beste Mittel. Gewöhnlicher Thee taugte mir nicht, wohl aber etwas weniges und nicht starker Caffee. Übrigens schlagen Sie sich nur alle sinistern Gedanken aus dem Sinn und erhalten Sie die Hoffnung stets lebendig. Es ist uns zwar recht gut, wenn wir einmal lebhaft unsrer Sterblichkeit erinnert werden. Auch ich habe an der großen Gränzscheide gestanden, und zwar, obwohl ich besonders aus den Anstalten der Ärzte auf die Gefahr vollkommen schließen konnte, mit einer mir selbst unbegreiflichen Gleichgültigkeit und völligen Ergebung, die vielleicht die Folge der Krankheit selbst war; erst späterhin, da mich das Leben schon wieder freundlich begrüßte, überfiel mich der heilige Schauer über jene Nähe und die schmale, so leicht überschreitbare, Gränze, die zwey, so recht eigentlich toto coelo von einander verschiedne, Zustände trennt. Nur zwey Dinge beunruhigten mich, der ungeordnete Zustand meiner wissenschaftlichen Papiere, aus denen wegen der wiederholten Abschriften, unter denen es nicht leicht war, grade die letzte herauszufinden, und weil nur einzelne große Massen ganz ausgearbeitet sind, zwischen denen aber zum Theil noch die Verbindungen fehlen, auch ein mit meinen Gedanken und meiner Art zu arbeiten vertrauter Freund kaum ein andres als fragmentarisches Werk hätte zusammensetzen können, so daß ich meine zehnjährige Arbeit doch nicht in meinem Sinne vollendet zurückgelassen hätte – sodann auch der Zustand, in welchem ich meine Privat-Papiere zurückließ, unter denen sich viele interessante, und manche wichtige Mittheilung findet, obwohl ich in dieser Hinsicht auf meine gute Frau mich verlassen konnte; aber hätte sie auch gleich Besonnenheit und Gegenwart des Geistes genug gehabt, diesen Nachlaß fürwitzigen und unberufnen Händen zu entziehen? Eins meiner ersten Geschäfte nach der Genesung, da ich ernsthaftere Arbeiten nicht unternehmen konnte, war daher, meine sämmtlichen Briefschaften auseinander zu lesen, zu sondern, und diejenigen, von denen ich mich nicht trennen wollte, an denjenigen vollversigelt zu überschreiben, von dem sie herrühren, so daß, wenn ich heute stürbe, jeder Freund versichert seyn könnte, daß nichts von ihm in unrechte Hände käme. Analoge Entschlüsse (mehr war bis jetzt nicht möglich) sind auch in Ansehung meiner wissenschaftlichen Arbeiten gefaßt worden, besonders habe ich die Saumseligkeit, über die ich selbst, über die alle wohlmeynende Freunde, besonders auch Sie (mehr gewiß noch für sich als gegen mich) Klage führten, von der aber ein Hauptgrund in meinen, grade die letzten Jahre mehr als je, ja mehr als ich selbst wußte und ahndete, leidenden Gesundheit lag, aus meinem Herzen und Willen gänzlich verbannt, gleich wie denn auch in dieser, moralisch und litterarischen, Hinsicht die letzte Krankheit eine heilsame Krisis bewirkt hat oder doch direct und indirect herbeyführen wird. Auch in dieser Beziehung fodre ich Sie, geliebter Freund, auf, alles für die Herstellung Ihrer Gesundheit zu thun, aber auch recht lebendige Hoffnung dafür zu fassen. Sie müssen unter andern die Weltalter noch lesen. So viele sind schon dahingegangen, auf welche, als Leser, ich gerechnet und aus der Ferne hingeblickt hatte. Aber ich wüßte kaum Jemand, den ich schmerzlicher als Leser dieses meines Werks verlöre, denn Sie. Wenn bisher meine Arbeiten das Interesse meiner Freunde erregte, so schrieb ich einen großen Theil davon auf die Wirkung ihres Wohlwollens gegen mich, aber von diesem Werk weiß ich, daß es Ihnen große, wahre Freude verursacht, denn es ist etwas damit geleistet, was zu erwarten Sie sich vielleicht nicht getraut hätten. Doch still mit diesen vorlauten Äußerungen, die heilige Nemesis nicht aufzuregen! Aber mein Hauptgefühlt dabey bleibt, wie der Himmel weiß, die Demuth, welche, wenn die Sache sie nicht hervorbrächte, das Schicksal mich gelehrt haben würde, denn ein Schicksal waltete darüber, daß, was ich im Kopf und in Gedanken vollkommen entworfen hatte und von einem Ende zum andern klar durchsah, in so langer Zeit doch nicht vollendet auf’s Papier kommen sollte.
Nun nur noch meine herzlichsten und innigsten Wünsche für Ihre baldige völlige Genesung, denen, mit den freundlichsten Grüßen, meine Frau sich anschließt. Sobald es Ihre Kräfte erlauben, sollten Sie eine Luftveränderung vornehmen. In das hiesige Clima lade ich Sie nicht ein, aber wie wär’ es, wenn Sie nach Stuttgart kämen, wohin ich diesen zu gehen gedenke? Sie sollen mir jetzt nicht antworten, aber einen Ihrer Freunde oder Schüler könnten Sie doch beauftragen, mir Nachrichten von Ihnen zu geben. Nochmals Gott befohlen
Ihr innig erg[e]b[en]ster
Schelling