Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Liebster Bruder!

Schon lange ist es mir schwer auf dem Hertz gelegen, daß ich Dir nicht früher schreiben konnte, es war mir aber beinahe unmöglich. Bald nach Empfang Deines lezten Schreibens wurde ich neuerdings kranck, und mußte bis zum Lauf der vorigen Woche das Bett hüten. Kaum so weit genesen, daß ich auf den Füßen stehen konnte, mußte ich wieder einen Theil meiner Geschäfte, und nach wenigen Tagen alle meine Geschäfte selbst übernehmen, wozu noch kam, daß ein Retardat meiner KanzleiGeschäfte, das ich unmöglich länger liegen laßen konnte, weggearbeitet seyn mußte. Nun benutze ich den ersten Augenblick, der mir übrig ist, um Dir zu schreiben, und bitte Dich nochmals recht sehr um Entschuldigung wegen dieses langen Zögerns. – Ich hatte immer gehofft, Dir inzwischen auch wegen der bewußten Stelle schreiben zu können, allein obgleich noch immer unter dem Publikum die allgemeine Sage geht, daß Du zu derselben bestimmt seyest, so konnte ich doch bis jezt zu keiner Gewißheit über diese Angelegenheit gelangen. Was mir das Wahrscheinlichste in der Sache ist, ist Folgendes: Wangenheim wird nur dann ernstlich darauf hinwircken, Dich nach T˖[übingen] zu bringen, wenn erst die bestimmte Aussicht hat, seinen Freund E[schenmaye]r vors Erste dort hinwegversetzen zu können. Diesen Plan scheint er schon längst ausführen zu wollen, und zwar so, daß E[schenmaye]r wahrscheinlich als Leibarzt hieher kommen soll. Vermuthlich ist dieser erste Plan noch nicht gantz zur Reife gediehen, und deßwegen wird mit der Ersetzung der Kanzlersstelle noch lavirt. Geht derselbe durch, so bin ich überzeugt, daß er Allem aufbiethen wird, Dich nach T˖[übingen] zu bringen wo nicht, so zweifle ich sehr, ob er darauf dringen wird. Nach Deinem lezten Brief hatte ich mir vorgenommen, eine Gelegenheit zu suchen, W[angenhei]m zu sprechen. Nun hörte ich aber auch einmal, daß mit Planck in Göttingen unterhandelt werde, was mich bewog, vorerst zurückzuhalten. Jedermann sagt nun, daß Planck die Stelle schwerlich annehmen werde, und wenn es geschehen ist, daß eine Vokation an denselben ergieng, so ist es, glaube ich, in der Hoffnung geschehen, daß er die Stelle nicht annehmen, weil seiner Kinder im Hannöverschen versorgt sind, daß inzwischen Zeit gewonnen, und etwa auch den Theologen und andern Leuten das Hälmchen damit durch den Mund gestrichen werde. Es scheint daß W[angenhei]m seine Pläne streng in sich verschloßen behält, eben darum, weil er wahrscheinlich noch andere Pläne im Hinterhalt hat. Unter diesen Umständen konnte ich mich bis jezt noch nicht entschließen, einen bestimmten Schritt bei ihm zu thun, indem ich überzeugt bin, daß wenn er keinen Zug thun will, er auch keinen thut, wenn ich auch 100mal zu ihm komme. Dafür habe ich übrigens gesorgt, daß er es weiss, daß Du nicht ungeneigt wärest, die Stelle anzunehmen, und wenn er etwas thun will, so ist von dieser Seite kein Hinderniß. Unser Gesandter in M[ünche]n ist, wie ich bestimmt weiß, ein guter Freund von ihm, und wenn Du diesen zu sehen Gelegenheit hättest, so wäre es vielleicht nicht ohne Nutzen. Ich kann beinahe nicht anders glauben, als daß es mit dieser Stelle auf Dich abgesehen ist, denn ich wüßte in der That nicht, wen man sonst an dieselbe berufen sollte. Ich erwarte übrigens seit einiger Zeit eine Nachricht über eine äußerst merckwürdige Somnambüle, welche sich aus der Ferne her an mich durch ihren Mann vor Jahr und Tagen wenden ließ, und welche versprochen hat, mir um diese Zeit herum wieder Nachricht von sich geben zu laßen. Wenn diese in diesen Tagen eintrifft, so werde ich dieselbe Herrn von W[angenhei]m, welcher sich äußerst für die Sache intereßirt, und mich schon öfter darum befragt hat, mittheilen. Bei dieser Gelegenheit könnte ich ihn unbefangenerweise sprechen, was sich auf andere Weise nicht wohl thun läßt, indem ich ihm seit seinem Hierseyn aus vielen Gründen das Haus nicht betreten habe. Ich kann mich fast nicht überwinden, um etwas zu sollicitiren, was die Leute froh seyn sollten, erhalten zu können. Mein Schwiegervater ist von der gantzen Sache unterrichtet, und ich bin überzeugt, daß wenn sie einmal ernstlich zur Sprache kommt, er alles thun wird, was in seinen Kräften steht.

Ich bedaure recht sehr, daß Deine Gesundheitsumstände noch immer nicht gantz gut sind. Die Beschwerden des Unterleibs, von denen Du geschrieben hast, fallen gerne mit dem Alter zusammen, in welchem Du Dich gegenwärtig befindest, und werden sich gewiß auch wieder vermindern. Nur glaube ich immer, daß Deine Diät nicht gantz zweckmäßig ist. Du trinckst zwar starcken Kaffee, und hast nicht die gehörige Bewegung. Ich glaube, daß das Pulver, von welchem Du mir geschrieben hast, von Zeit zu Zeit gebraucht, nicht unzweckmäßig seyn dürfte. Doch würde ich ungefähr folgender Formel den Vorzug geben, bei welcher Du Dich an dem AloeExtrakt nicht stoßen darfst, indem das Extrakt bloß die mit Waßer ausgezogenen Theile der Aloe, nicht aber den harzigten Bestandtheil derselben enthält, welcher Hämorrhoidalkongestionen bewirckt:

###...###. Von diesem Pulver werden täglich 2–3mal 2 kleine, oder Ein größerer Kassenlöffel voll genommen. Nebenher glaube ich solltest Du täglich 2mal eine Taße gantz lauen Thee von Scharfgarbenkraut (ohne die Blüthe) trincken. Dieser Thee muß so lang, als ein hartgesottenes Ei gekocht, und zu 3 ### Taßen so viel, als man ungefähr mit 2 Fingern faßen kann, genommen werden. Er hat eine gelind tonische Wirckung auf den Unterleib, ohne zu erhitzen oder zu verstopfen, und verhindert die öfters wiederkehrenden profusen Ausleerungen, welchen gewöhnlich Verstopfung folgt. – Wie gerne wollte ich Deiner Einladung folgen, und nach M[ünche]n kommen, bis jezt konnte ich aber unmöglich von hier weg, und wenn ich wegkommen kann, so will ich, wegen der Reizbarkeit meiner Haut, welche durch das öfters wiederkehrende Rothlaufen sehr groß ist, eine kleine Reise von 8–10 Tagen in das wärmere Unterland, vielleicht bis Heidelberg und Mannheim machen. Wie sehnlich ich es wünschte, wieder einige Wochen mit Dir verleben zu können, so muß ich dießmal doch resigniren. Vielleicht führt uns der Himmel bald näher zusammen. – Gerne hätte ich noch Deiner Fräulein Schwägerin für das Schreiben, womit sie mich vor einiger Zeit beehrt hat, gedanckt, die Zeit erlaubt es mir heute nicht mehr.

Empfehl mich doch ihr und Deiner verehrten Frau Schwiegermutter und Base Julie aufs Beste, Deine liebe Frau und die Kinder grüße ich mit m˖[einer] Frau aufs herzlichste. Leb recht wohl, und schreibe mir doch bald wieder, namentlich auch, ob Du glaubest, daß ich weitere Schritte machen soll?
Dein
Br˖[uder]

K.