Liebster Bruder!
Ich hatte mir vorgesezt, Dir durch die beiden Jungen bei ihrer Abreise nach Erlangen zu schreiben, bin aber damals durch Geschäfte verhindert gewesen, m˖[einen] Vorsatz auszuführen. Wir haben zu unserem Vergnügen gehört, daß jene gesund und wohl angekommen sind, und auch bei Euch alles wohl angetroffen haben, und wünsche nun nur von Hertzen, daß die Badkur Dir und D˖[einer] lieben Frau recht wohlthätig möge gewesen seyn. Ich hatte mir vorgesezt, diesen , da ich schon in das dritte Jahr nun fast nicht zu den Thoren der Stadt hinausgekommen bin, auf 14 Tage nach Göppingen zu gehen, konnte es aber leider nicht ausführen, weil um jene Zeit mehrere m˖[einer] Kollegen bei dem Medic˖[inal]Kolleg˖[ium] theils in Amtsgeschäften abwesend waren, theils nicht wohl waren, so, daß wenn ich auch vollends gegangen wäre, alle laufende Geschäfte ins Stocken gerathen wären. Nun will ich mir dafür auf nächsten einen etwas längern Urlaub nehmen, was freilich noch in weiter Aussicht liegt.
Theils Privat- theils Zeitungsnachrichten haben Dir schon vor längerer Zeit eine wiederhohlte Anstellung bei der Akademie in München zugedacht, was mich insoferne gefreut hat, als ich daraus schloß, daß Deine Gesundheit nun wieder mehr befestiget seyn müße, indem Du sonst dem Rufe nicht gefolgt seyn würdest. Nun hat neuerdings ein officieller Artikel Dich als Professor bei der Univers˖[ität] in M˖[ünchen] genannt, doch mit dem Zusatze, daß Du erst im nächsten die Stelle antreten werdest. Wie sich dieses nun machen möge, so wünsche ich nur, daß eine solche Veränderung zu D˖[einer] und D˖[einer] lieben Frau Zufriedenheit und Wohl ausfallen möge.
In Deinem lezten Schreiben an mich hast Du Dich darüber geäußert, daß ich nichts von den Fortschritten der beiden Knaben in geistiger und moralischer Hinsicht geschrieben habe. Daß dieses von mir unterlaßen wurde, geschah, wie ich dich versichern kann, gantz unabsichtlich. Was ihre geistigen Fortschritte betrifft, so kann ich mir fast nicht mehr herausnehmen, dieselbe zu beurtheilen, da ich von fast Allem philologischen Studium längst abgekommen, in der That den rechten Maaßstab zur Beurtheilung nicht habe, auch während der lezten Ferien weniger als sonst zufälligerweiße in der Hinsicht sie prüfen konnte, ich auch auf das Zeugniß von Rector Planck, welches sie jedesmal mir mitbringen, mich verlaßen habe, welches sowohl in der lezten als vorlezten Vakanz sowohl hinsichtlich ihrer Aufführung, als ihrer Fortschritte im Lernen günstig lautete, mich verlaßen zu können glaubte. In moralischer Hinsicht habe ich ebenfalls nichts an ihnen auszusetzen gefunden, denn was etwa vorgekommen ist, daß z.B. Paul in unbedeutenden Dingen und wie mir scheint, ohne vorausgegangene Überlegung und durch seine Lebhaftigkeit hingerißen, sich einigemale einige Abweichungen von der Wahrheit erlaubt hat, schien mir nicht von dem Belange zu seyn, um Dir davon zu schreiben, obgleich ich es für m˖[eine] Pflicht hielt, ihm deßwegen Ermahnungen zu ertheilen. Außerdem haben wir es für nöthig gehalten, in Beziehung auf ihr übriges Benehmen, z.B. auf reinlicheres Halten ihrer Kleider, anständigeres Essen, wobei namentlich Paul ebenfalls durch sein lebhaftes Wesen manchmal sich versieht, sie öfters zu ermahnen, und dieß um so mehr, als auf solche Punkte in Nürtingen bei so vielen jungen Leute nicht die nöthige Aufsicht gehalten werden kann. Daß dieses aus nichts anderem, als aus wahrer Liebe zu den Kindern von m˖[ir] und m˖[einer] Frau Seite geschieht, kannst Du gewiß überzeugt seyn. Beide sind mit den herrlichsten Anlagen ausgerüstet, wahrhaft interessante Knaben, wie sie einem nicht häufig vorkommen, und es gereichte uns bisher immer zum wahren Vergnügen, sie bei uns zu haben, und wird dieß auch in Zukunft immer der Fall seyn, auch werde ich so weit ich es vermag, es mir immer angelegen seyn laßen, ihnen Ermahnungen und Lehren zu geben. Wenn ich nicht irre, so wird Paul nicht durch ein vorherrschendes böses Princip in ihm, sondern durch sein lebhaftes feuriges Wesen in seinem künftigen Lebenslauf eher der Gefahr ausgesezt seyn, auf Abwege zu gerathen, als Fritz, bei dem sich eine gewiße Gediegenheit schon jezt in Allem zeigt. Ich hoffe aber gewiß, daß das Gute, das er in sich hat, mit dem Reifen des Verstandes pp immer bei weitem das Übergewicht behalten wird.
Klärchen wollte ihren Brüdern einen Brief an Ihre Mutter und Julie mitgeben, wurde aber nicht fertig, und nun folgen ihre Briefe hiemit nach. Nach ihrer Handschrift dürfen übrigens ihre übrigen Fähigkeiten nicht bemeßen werden. Das Schreiben ist unter allen Zweigen derjenige, welcher bei ihr am wenigsten gedeihen will, wie auch ihr Lehrer versichert, dagegen ist Rechnen, Auswendiglernen, Lesen und zwar mit Ausdruck alsdann auch andere Sachen, welche Verstand erfodern, bei ihr viel leichter gegangen. Viele Leute rathen, sie in das hiesige Institut (Katharinenstift) zu schicken, wir haben aber keine rechte Lust dazu, weil die Kinder von 8–12 Vor-, und Nachmittags von 2–5 Uhr daselbst offenbar zu vielerlei gelehrt werden. Was hältst Du und Deine liebe Frau davon? Wenn Ihr etwas darauf hieltet, so bitte ich Dich, es mir bald zu schreiben. Denn mit fängt ein neuer Kurs an. – Unsere kleine Marie gedeiht fortwährend gut, und macht uns allen viele Freude, aber auch viele Sorge, da sie in Allem so viele Ähnlichkeit mit unserem Karl hat, und besonders das Zahnen bei ihr gantz unter denselben Umständen verläuft, wie bei Karl.
Grüße D˖[eine] Knaben und alle D˖[eine] Kinder herzlich.
K
Wenn die Knaben zurückkommen, so laße sie es so einrichten, daß sie einige Tage noch hier verweilen können. Dir und D˖[einer] lieben Frau uns bestens empf[ehlend].