Liebster Bruder!
Ich hoffe, Du werdest es nicht für Lieblosigkeit oder Gleichgültigkeit halten, daß ich Dir so lange nicht geschrieben habe. Noch lange vor dem neuen Jahre gieng ich immer damit um, es zu thun, und wollte Dir wenigstens am Ende des Jahres noch Glück zum neuen wünschen, wurde aber immer wieder verhindert. Du glaubst nicht, wie viele und mancherlei Geschäfte mir immer auf dem Halse liegen, und wie jede Minute des Tags mir besezt ist. Wir haben im November ein jüngeres Mitglied des Medicinalkolleg˖[iums] verlohren, den Assessor Hardegg, während deßen Krankheit und da seine Stelle erst kürzlich wieder ersezt wurde, eine Menge von Geschäften liegen blieben, welche, da sie zum Theil in mein Referat einschlugen, ich größtentheils auf mich nehmen mußte.
Wir haben es sehr bedauert, daß die beiden Knaben um nicht zu uns gekommen sind. Ich habe sie, als sie von Erlangen zurückkamen, gefragt, ob Du ihnen nicht erlaubt habest, auf Weihnachten zu uns zu kommen, worauf, wenn ich nicht irre, Fritz erwiederte, »der Papa hat gesagt, wenn Du uns einladest, so dürfen wir schon kommen«. Unter dieser Voraussetzung lud m˖[eine] Frau die Kinder vierzehn Tage vor Weihnachten ein, und als keine Antwort eintraf, warteten wir um so gewißer, und am , an welchem Tage wir ihre Herkunft erwarteten, war für sie gedeckt, statt der Kinder kam aber alsdann ein Brief von Paul, worinn er schrieb, daß Du ihnen die Erlaubniß nicht ertheilt habest. Hätte ich dieses geahnet, so würde ich es versucht haben, bei Dir die Erlaubniß auszuwircken.
Klärchen ist diesen Winter und besonders gegenwärtig recht gesund und starck. Sie ist seit einiger Zeit auffallend gewachsen; sie hat zwar in den Weihnachtsfeiertagen wieder ein Geschwür an den Mandeln bekommen, das jedoch nach einigen Tagen aufgebrochen ist. Sie trägt mir recht viele Grüße an ihre lieben Eltern und Geschwister auf, und wird nächstens auch wieder einmal selbst schreiben, in welcher Kunst, seit sie häufigeren Unterricht hat, sie inzwischen recht merckliche Fortschritte gemacht hat, wie sie überhaupt in Allem vorzügliche Gaben verrathet. Unsere kleine Marie gedeiht ebenfalls recht gut, sie hat im Alter von dreyzehn Monaten das Gehen gelernt, und hat um jene Zeit auch schon elf Zähne gehabt, aber inzwischen den zwölften nicht erhalten, was uns oft besorgt macht, indem unser Karl auch vorneherein so schnell und leicht gezahnt hat, bis dasselbe auf einmal ins Stocken gerathen ist. Meine Frau ist wieder in der Hoffnung, was ich Dir absichtlich so frühe schreibe, damit Du es nicht wieder von andern hörest. Sie ist gottlob gesund, und guten Muths. Meine Schwägerin Keßler ist zu Anfang des Jahrs hier bei m˖[einen] Schwiegereltern von einer Tochter entbunden worden, verfiel aber zwey Tage nach der gantz leichten guten Entbindung und einer gantz guten Schwangerschaft in eine heftige Kranckheit, welche uns einige Tage hindurch sehr besorgt machte. Jezt ist sie wieder gantz wohl, und gedeiht mit ihrem Kinde, das sie selbst stillt, gantz gut. Augusts Frau ist auch wieder guter Hoffnung, und es hat also nicht den Anschein, als ob unser Stamm vorerst im Erlöschen wäre. Beate ist gantz wohl, ihr Theodor hat kürzlich zu seiner nicht geringen Satisfaktion eine Vakanz von vier Wochen hier gemacht, weil die Masern bei seines Präceptors Kindern ausgebrochen waren; ich habe am Ende sehr daran treiben müßen, daß er wieder fortgekommen ist, sonst wäre er noch hier, und doch scheint ihm die Aufsicht seines Präceptors und der Landaufenthalt nach allen Theilen wohlzubekommen.
Noch haben wir D˖[einer] lieben Frau für die schöne Strümpfe, welche sie unserer Marie geschickt hat, recht herzlichst zu dancken, und meine Frau, welche noch immer sehr schwer ans Schreiben kommt, läßt sich recht sehr entschuldigen, daß sie Deiner lieben Frau nicht selbst schreibe. Auch Klärchen danckt inzwischen für das ihr Überschickte, wird es aber selbst nachhohlen. Laß uns doch auch bald etwas von Euch hören, wir verlangen oft sehr darnach, auch zu wißen, wie es Euch geht.
Leb recht wohl mit den lieben Deinigen!
Dein
tr˖[euer] Br˖[uder]
Karl.
Stuttg˖[art] den .