Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Liebster Bruder!

Es hat uns recht leidgethan, aus Deinem Briefe zu ersehen, daß Du Stuttgart diesesmal gantz umgehen, und einen dritten Ort zum Aufenthalt wählen willst. Wir haben so sicher darauf gerechnet gehabt, Dich und Deine liebe Frau dieses Spätjahr hier zu sehen, daß wir uns nicht recht in den Gedancken fügen können, unsere Hoffnung nun auf einmal so vereitelt zu sehen. Wäre es denn nicht möglich, daß Du wenigstens 14 Tage zu der Reise Dir Zeit nähmest, oder wenn dieß nicht der Fall ist, und Du je nur so kurtze Zeit hier bleiben wolltest, so würde es Dir gewiß niemand übel nehmen, wenn Du bei einem so kurtzen Aufenthalt weder Besuche machen, noch annehmen würdest. Die Witterung ist um jene Zeit auch so unzuverläßig, daß ein Aufenthalt auf dem Lande vielleicht nicht sehr angenehm seyn würde. Hätte ich diesen Deinen Plan geahnet, so hätte ich meiner Reise nach Göppingen und Neuenstadt bloß die Hälfte Zeit gewidmet, um mit Dir wenigstens 6–8 Tage dieses Spätjahr irgendwo verweilen zu können. Es ist mir nun aber theils wegen dieser erst kürzlich gemachten Reise, theils weil ich diesen auch sonst verschiedene Störungen hatte, doch fast nicht möglich, schon wieder von hier wegzugehen, und auf länger als etwa 3 Tagen würde es sich schon gar nicht machen laßen. Von diesen würde nun Ein Tag auf die Hin- und HerReise gehen, und so könnte ich nicht länger, als 2 Tage bei Euch seyn, was mir schmerzlich seyn würde. Sollte es Dir aber nicht möglich seyn, Deinen Reiseplan abzuändern, so würde ich Dir rathen, in Göppingen Deinen Aufenthalt zu nehmen. Das Badhaus daselbst steht außerhalb der Stadt, ist ein langes großes Gebäude, deßen zweiter Stock um jene Jahrszeit gantz unbewohnt, gäntzlich zu Deiner Disposition stehen würde. Die Bewirthung daselbst ist gut und nicht unbillig, die Aussicht von dem Hause aus gantz schön, und zu Ausflügen hat man täglich die schönste Gelegenheit. Doch bitte ich Dich nochmals, wenn es Dir möglich ist, hieher zu kommen, wir können hier gewiß auch ungenirt zusammen seyn, wenn man es darauf anlegt. Auf jeden Fall bitte ich Dich, mir noch bestimmt zu schreiben, im Fall Du nicht hieher kommen willst, wann und wo ich Dich treffen kann. Kann ich nicht sogleich abkommen, so will ich alsdann wenigstens meine Frau mit Klärchen senden, damit Ihr diese leztere doch auf jeden Fall die gantze Zeit über bei Euch haben könnt, und ich will alsdann nachkommen. Es würde uns äußerst gefreut haben, bei dieser Gelegenheit auch Deine beiden kleinen Kinder und auch die Lina zu sehen. Vielleicht geht es doch an, daß ihr wenigstens Eines derselben mitbringt. Im Fall Du Dich entschließen solltest, hieher zu kommen, dürftest Du wegen des Logirens und der Schlafstätten nicht in Verlegenheit seyn, indem sich Raum finden würde, wenn Du auch mit allen Deinen Kindern kommen wolltest. Von Pfaffs habe ich noch nichts gehört. Gries, welcher seit mehreren Wochen hier ist, freut sich auch sehr, Dich zu sehen. Ich gedencke ihm bis jezt nichts zu sagen, er würde vielleicht Lust bekommen, Dich an dem dritten Ort aufzusuchen, und ich weiß nicht, ob Dir dieß recht wäre.

Nun lebe inzwischen wohl und gesund, und wenn es möglich ist, so richte Deinen Weg nach Stuttg˖[art], wo Du, wenn nicht die beste, doch die freundlichste Bewirthung finden würdest. Dein
tr˖[euer] Br˖[uder]

Karl