Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Liebster Bruder!

Mit Bedauren habe ich aus Deinem heute erhaltenen Briefe ersehen, daß unsere Hoffnung, Dich und Deine liebe Frau dieses Spätjahr noch bei uns zu sehen, nicht erfüllt werden wird. Wir hatten gantz sicher darauf gerechnet, um so mehr, als wir von allen Seiten es bestätigen hörten, daß Deine beide Knaben nach Nürtingen in die Kost kommen werden, und erwarteten daher von Tag zu Tag die bestätigende Nachricht. Diese getäuschte Hoffnung und der in Deinem Briefe ausgedrückte Wunsch, daß Klärchen nach Erlangen zurückkehren solle, hat uns den heutigen trüben Tag noch viel trübseeliger gemacht, und uns und alle die unsrigen in Schrecken gesetzt. Die innigste Liebe, mit der wir alle für Klärchen erfüllt waren, und die gegen ein eigenes Kind fast nicht größer seyn kann, hat uns fast gantz vergeßen laßen, daß sie uns nicht für immer angehören darf. Meine Frau und ich sehen es nur zu gut ein, welch’ großes Opfer ihr uns gebracht habt, daß ihr uns dieses theure Kind so lange überlaßen habt, und wir sind und bleiben euch ewig danckbar dafür, wagen es auch nicht, um verlängerten Aufschub zu bitten, so schmertzlich uns die Trennung von ihr, die wir von Tag zu Tag mehr liebgewonnen haben, fallen wird. Doch muß ich gestehen, daß ich wegen der Hinreise für Klärchen bei der so weit vorgerückten Jahreszeit nicht gantz außer Sorgen wäre. So gesund sie im Gantzen ist, so hat sie doch eine äußerst zarte Konstitution, und bei der leichtesten Erkältung bekommt sie häufig einen Husten, der gantz dem der LuftRöhrenEntzündung ähnlich ist. Auch wircken selbst unbedeutende Alterationen sehr bedeutend auf sie ein, so daß sie auf einen leichten Schrecken, der sie befällt, den gantzen Tag übel aussehen, wohl auch Fieberbewegungen bekommen kann. Unter diesen Umständen, und da ich voraussehe, daß es eine sehr schmertzliche Trennung geben wird, würde ich die größte Angst haben, das Kind einer ihr vorher fremden Person zur Rückreise nach Erlangen zu übergeben, und meine Frau sagt auch, daß sie es nicht würde ertragen können, sie jemanden anders, als den Eltern zu übergeben. Wir haben daher diesen gantzen Nachmittag berathschlagt, wie es zu machen wäre, da ich fast unmöglich von hier auf etwas längere Zeit abkommen, und an meine Frau unser Kleiner so gewöhnt ist, daß sie ihn, besonders da er äußerst heftig zahnt, und wir wegen der noch immer herrschenden MasernEpidemie auch von dieser Seite noch Besorgniße haben, nur sehr schwer auf längere Zeit verlaßen könnte. Wenn es daher Dein und Deiner lieben Frau fest bestimmter Wunsch wäre, Klärchen noch diesen zurückzuerhalten, so wollte ich Dir den Vorschlag machen, ob es nicht möglich wäre, daß Du, und Deine liebe Frau, wenn sie es wegen ihrer Gesundheit wagen dürfte, die beiden Knaben die Hälfte des Weges, etwa bis Feuchtwangen brächtet, wohin ich alsdann Klärchen bringen, und die beiden Knaben mit herausnehmen wollte. Da wir es nicht wagen könnten, unsern Kleinen mitzunehmen, so wäre es noch zweifelhaft, ob meine Frau mitkommen könnte, da sie ihn wegen der Kräncklichkeit ihrer Mutter dieser nicht übergeben, und unserer Jungfer nicht anvertrauen will.

Dem August will ich, das, was Du mir aufgetragen hast, zu wißen thun. Beate ist seit mit ihren beiden Söhnen zu ihm auf Besuch gereist. So viel ich weiß, – denn seit wenigstens 6 Monaten haben wir uns nicht geschrieben – ist aus der Reise nach Würzburg nichts geworden. Es scheint Deinem Briefe zufolge, daß Deine beide Knaben nicht über hier kommen würden, wenn sie nach Nürtingen reisen, und doch glaube ich würde es wenigstens kein bedeutender Umweg seyn. Auch würde es mich und meine Frau sehr freuen, wenn sie vorher einige Tage bei uns bleiben würden. Wir hatten schon allerlei Plane gemacht, und uns besonders gefreut, in den Ferien die 3 Kinder beisammen zu haben, und ihnen die Entfernung von den Eltern möglichst zu ersetzen.

Von Pfaff sagt man allgemein, daß er sich um die Stelle gemeldet habe, wahrscheinlich ist es aber dem nach, was Du mir geschrieben hast, ein Mißverständniß. Übrigens höre ich, daß man ihn von Tag zu Tag hier erwartet.

Noch wollte ich Dich doch bitten, wegen des Porträts von Herzog Christoph wenns immer möglich wäre, doch noch einmal eine Anfrage zu machen. Die Archivarien sind wiederhohlt in früheren und neueren Zeiten an mich gestiegen, und äußern, sie seyen in der äußersten Verlegenheit, wenn sie das Bild nicht bald wiederbekommen. Ich habe sie damit getröstet, daß Du dieses Spätjahr selbst hieherkommen und ihnen Auskunft ertheilen werdest. Außerdem ließ ich schon und im Laufe dieses den Bildhauer Schweickle durch seine hiesigen Verwandte bitten, das Bild zurückzuschicken, aber er ertheilt keine Antwort.

Nun leb recht wohl, empfehle uns Deiner lieben Frau bestens!
Dein tr˖[euer] Br˖[uder]

Karl.

Klärchen ist gantz wohl, und lernt seit einiger Zeit bei einem braven Lehrer recht gut. Sie konnte bisher wöchentlich nur 3 Stunden haben, hat aber seit einigen Tagen jezt täglich eine Stunde.
Dein Augenübel wird doch von keiner Bedeutung seyn! Schone dieselbe doch möglichst, und besonders bei Licht.