Schelling

Schelling Nachlass-Edition


An Herrn Director

von Schelling

in

München

frei Gr[en]tze

Liebster Bruder!

Mit recht herzlichem Bedauren habe ich heute die Nachricht, die Du mir über das Breyer’sche Haus mitgetheilt hast, gelesen. Bei diesen armen Leuten hat das Unglück doch eingekehrt, und der gute Breyer wird eben wohl jezt unterlegen seyn. Ich kann mir recht wohl dencken, wie nahe Dir dieser Verlust eines so alten und treuen Freundes gehen mag, und welchen Eindruck dieser Fall auf Dein Gemüth machen wird, besonders da Du selbst an Deiner Gesundheit leidest. Schon mehrere Tage bin ich immer damit umgegangen, Dir zu schreiben, und Dich zu bitten, zu uns hieherzukommen, und einige Monate lang hier zu bleiben, oder noch länger, was uns allen gewiß das Angenehmste wäre. Nun aber bitte ich Dich recht sehr, entschließe Dich, wenn es nur immer möglich ist, es zu thun, und je bälder je lieber hieherzukommen. Es scheint eben doch auch, daß das Schleimfieber in M[ünche]n epidemisch ist, und einen solchen Feind thut man am besten, bald auszuweichen. Vielleicht aber könnte Deine Frau, wenn sie in der Schwangerschaft schon zu weit vorgerückt wäre, sich entschließen, ihr Wochenbett hier zu halten, wozu ich und meine Frau ihr unser Haus mit Vergnügen anbieten, und in welchem Fall wir es uns gewiß auch zur größten Angelegenheit machen würden, ihr das, was sie durch Abwesenheit von ihrem eigenen Heerd vermißen würde, wo möglich zu ersetzen. Bis morgen zieht die Mutter und Schwester in dem zunächst an unsere Wohnung anstoßenden Hause in ein sehr geräumiges Lokale ein, weßwegen, im Fall es nöthig wäre, und der Raum bei uns sich als zu eng zeigte, auch bei diesen Aushülfe, z.B. zum Schlafen für Deine Kinder bei der Nacht pp gefunden werden könnte. Du würdest mir ein unbeschreibliches Vergnügen machen, wenn Du diesen hier zubringen wolltest, und für die Wiederherstellung Deiner Gesundheit wollten wir alle aufs eifrigste sorgen. Jäger sagte mir, daß er den Gebrauch des Kannstadter Waßers für sehr zweckmäßig für Dich hielte, dieses könnte mit aller Bequemlichkeit gebraucht werden, ebenso das Bad daselbst, und zum Fahren, Reiten, Genuß der frischen Luft und andere zweckmäßige Zerstreuungen würde auch Gelegenheit genug vorhanden seyn.

Im Fall das Mißbehagen, wovon Du mir schreibst, und namentlich der bittere Mund, der beschleunigte Puls pp noch fortdauerten, würde ich Dir doch zu einem gelinden Brechmittel, etwa 3ß rad˖[ix] ipecac˖[uanhae] und gr. j. tartar˖[us] emet˖[icus] rathen, wovon Du die Eine Hälfte nehmen könntest, und wenn binnen einer 1/4-telstunde keine Wirckung erfolgte, die Hälfte der andern Hälfte, und in gleichem Fall nach einer weitern Viertelstunde vollends den Rest; oder aber zu einem Abführungsmittel von folgenden Bestandtheilen, die zugleich stärckend sind: ###...### 2 starcke Eßl˖[öffel] voll zu nehmen.

Mit der Kämpfschen Methode laß es nur einstweilen gehen, bis die erste Periode des Frühjahrs vorüber ist, sie könnten Dich zu sehr angreifen. Geh’ nur fleißig in die frische Luft, und sey guten Muths, und entschließe Dich doch zu einer Reise hieher! Schreib mir bald wieder, was ich in wenigen Tagen auch thun werde, indem ich von Krancken berufen, eililgst abbrechen muß.

Leb wohl und bleibe fein gesund, bis wir uns sehen können, was diesen nicht unterbleiben sollte. Deiner lieben Frau die besten Empf˖[ehlungen]
Dein
Tr˖[euer] Br˖[uder]

K.

Sollte Dich unter andern auch der nervus rerum gerendarum vom Reisen und dem Gebrauch eines Bades abhalten, so schreib es mir doch sogleich unverhohlen, ich kann gantz füglich über eine mehr oder minder große Summe disponiren, und würde mir gewiß das größte Vergnügen daraus machen, wie Du mir während meines Aufenthalts in Wien das Gleiche gethan hast.