Gottingen den .
Ew Hochwohlgeboren gütiges Schreiben vom hat mich durch das Wohlwollen, womit Sie meine Bestrebungen ansehen, erfreut, und die Nachricht über Ihr großes geschichtliches Werk giebt meinen Erwartungen etwas mehr Bestimmtheit. In der That harre ich demselben mit so großem Verlangen entgegen und werde so lebhaften Antheil daran nehmen, als vielleicht nicht allzuviele unsrer gegenwärtigen Gelehrten – indem ich wenigstens bis jetzt nur selten solchen begegnet bin, die eine wirkliche Sehnsucht fühlten, ein paar Höhenlinien mehr am äußersten Horizont der Geschichte hervortreten zu sehn aus dem langen späten Nebel. Vielleicht haben die Gegenstände, die ich, um gewissermaßen dem Amt zu genügen und meine Gelehrtensteuer zu entrichten, für den Druck zu bearbeiten begonnen habe, oder die Art der Behandlung Sie nicht vermuthen lassen, daß ich ein (wenigstens noch für geraume Zeit) mehr esoterisches Bemühn auf Ergründung gleichfalls eines größeren und höheren Zusammenhangs gerichtet haben könnte. Allerdings aber ist der Raum, den ich bis jetzt zu übersehn vermag, oder zu untersuchen angefangen habe, ungleich beschränkter, als Ihr Gebiet – oder das Ganze der mythologischen Forschung. Ein durch glückliche Erfindung oder hohe Leichtigkeit zugleich des Durchblicks und der Umsicht gefaßter Gedanke eines Systems muß die Prüfung des Einzelnen überall sehr abkürzen und erleichtern – und so hoffe ich, daß Ihr Buch, von einem allgemeinen Mittelpunkt ausgehend, und so viele Ausstrahlungen wahrzunehmen, zu verfolgen Anleitung geben wird. Indessen ist das Material auch so unendlich zerstreut, zerstückelt, vieldeutig, streitig, daß kleinere Abtheilungen in sich zuzubereiten und abzurunden, oder in sich Verwandtes und Zusammengehöriges zusammenzuziehn, um es einem noch nicht mit Sicherheit gekannten System oder Mittelpunkt zuweisen zu können, der Mühe werth ist, und wenigstens zur Bewährung beytragen muß. So glaube ich insbesondre, daß das Meiste, was ich übereinstimmendes herausgebracht habe, einem späteren Zustande der Völker (der zusammengehörigen) angehören mag, als bis auf welchen Ew. Hochwohlgeboren zurükgegangen seyn werden. Findet man nicht blos Zweige, sondern auch Aeste, so ist zu hoffen, daß sie, weiter verfolgt in dem Schutt wovon sie in der Umrollung der Zeiten unterdrückt worden sind, uns gleichfalls bis zum alten Stamm oder zu den Wurzeln führen könnten. Namentlich hoffe ich das Uebermaß von falscher und spielender Exegese, welches almälig den Griechen ihre Vorzeiten verdunkelt, und eine reinere, so wie eine hierarchisch Blutigere Gestalt des Sabäismus auch unseren Gesichtskreis ziemlich entzogen hatte, darthun zu können. Auch hinsichtlich der Uebergänge des Pristerlichen in das Dichterische hoffe ich einiges Licht zu verbreiten – und werde da Indisches, Nordisches – Griechisches p zusammenfassen. Aber in allen Punkten bleibt das Meiste, das ich zu durchsuchen und zu durchdenken habe, noch zu thun übrig. Ich bin nur in den Anfängen.
Daß Ew. Hochwohlgeboren mir keine Hoffnung lassen, irgend einen Beytrag, kunstphilosophisch oder mythologisch, für meine Zeitschrift zu erhalten, thut mir zwar an sich sehr leid. Der Grund aber ist sehr einleuchtend, daß Sie sich dem großen Werk nie entziehn wollen – und ich bin Ihnen für die Freundlichkeit solchen mir zu eröffnen sehr verbunden. Das zweyte Stück will ich zu derselben Nachsicht empfehlen, womit Sie das erste aufgenommen. Im 3. wird Hirt die Zeichnung der Aeginetischen Gruppen stehen lassen, die er gleich nach seiner Zurückkunft in Berlin mir zu schicken vorhatte. Vielleicht giebt mir sein Aufsatz Gelegenheit, über Ihre Schrift eine Anzeige, nach Ihrem Wunsche, beyzufügen. Es ist wahrhaft ein sonderbarer Zufall, daß ich sie noch nicht gelesen habe – wenn ich nehmlich das Interesse das Sie für mich hat und den Göttingischen Buchhandel zusammenhalte, dem man doch etwas zutraut. Das Ex˖[emplar] der Bibliothek konnte ich nicht erhalten – das dauert gewöhnlich sehr lang – ich bestellte durch Vandenhoek – und Ruprecht – wiederholt - und habe es doch nicht bekommen, so wie es mir mit in München erschienenen Schriften schon mehrmals gegangen ist.
Sehr wünsche ich, daß mein Freund Klenze den Bau Ihres Museums beschleunigen möge, damit die Kunstschätze sichtbar werden, die sich jetzt so sehr verstärken. Von Zoegas Abh[an]d˖[lungen] die ich den vorigen drucken ließ habe ich fast alle Freyex˖[emplare] nach Dänemark schicken müssen – Sonst würde ich so frey gewesen seyn, eines für Sie beyzulegen.
Mit der größten Verehrung verharre
Ew Hochwohlgeboren
ganz ergebenster
FG Welcker.