Herrn Director
von Schelling
beständiger Sekretär
der königlichen Akademie
in
London den
Heilig, mein Theurer! und unvergeßlich bleiben mir die Stunden, die mir in deinem und deiner liebenswürdigen Gattinn Umgang zu erleben vergönnt war. Ich zähle sie zu den frohesten und glüklichsten meines Lebens. Einen alten, stets geehrtesten und geliebten Universitäts Freund nach 20jähriger Trennung wieder zu sehen, ist schon an sich eine wahre Festfreude. Aber noch erhöht wurde sie, als sein Geist und sein Herz sich dem Meinigen so zutrauensvoll öffnete, und ich aus seinem Munde Ueberzeugungen vernehmen durfte, die in allen großen HauptPunkten mit den Meinigen so ähnlich sind. Unsere Hoffnungen erneuerten sich gleichsam mit neuer Kraft als ich bey meiner Zurükkunft nach London deinen Brief vom fand. Ich habe ihn mit der ungeheucheltesten Rührung und Dankbarkeit gegen Gott gelesen. Mit dir preise ich seinen heiligen Namen, daß Er dich so wundervoll und so selig geführt, der dich aus so manchen finstern ZweifelsLabyrinthen auf die helle heitere Bahn der Wahrheit hinzuleiten angefangen hat, auf die Straße, die da heißt die richtige. Daß die Wege, nach welchen Gott die Menschen führt, höchst mannigfaltig sind, habe ich aus vielen merkwürdigen Beyspielen erfahren, und eingeschränkt ist der Blik des Christen, der fordert, daß alle gerade auf dem Wege geführt werden sollen, welcher die ewige Weisheit und Liebe mit Ihm selbst zu gehen für gut fand. Sobald ein Mensch einmal zu der lebendigen Einsicht gelangt ist, daß die Heilige Schrift im vollsten Sinne des Wortes Gottes Wort ist, und eine Weisheit enthält, die aller blos menschlichen Weisheit unendlich überlegen ist; sobald Er in sich selbst, an seiner eigenen Einsicht und Kraft gleichsam verzagt, und nach höherer göttlicher Erkenntniß und Kraft schmachtet; so bald er im tiefsten Gefühle der Unzulänglichkeit aller eigenen Tugend, Gerechtigkeit und Verdienstes die Unentbehrlichkeit der Gnade Gottes erkennt, und den von Ihm gesandten Retter und Erlöser in der Person seines Sohnes als denjenigen annimmt, der Ihm von Gott gemacht ist zur Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung, und sobald er beständig um den Beistand des Heiligen Geistes fleht; so ist Er meiner geringen Einsicht nach auf dem rechten Wege wenn gleich die Ausdrüke, deren Er sich bedient, von denen irgend einer besondern Schule und Sekte sehr verschieden seyn sollten. Ich stehe nicht auf Worte, sondern auf die Sache, nicht auf die Hülle, sondern auf das Wesen. Ich habe Gelegenheit gehabt unter den verschiedensten äußern Formen die edelsten, geistvollesten Christen kennen zu lernen. Gegen manche hatte ich von Jugend auf die stärksten Vorurtheile eingesogen, aber diese mußten dem Lichte der Wahrheit weichen.
An dem wichtigen Werk, das du wirklich in Gedanken hast, nehme ich einen besonders lebhaften Antheil. Wenn es vollendet ist, werde ich mir ein Ex[emplar] anschaffen, und es mit der
Der erste war, daß du dich nicht in deinem Denken und Schreiben zu tief in Metaphysische Spekulazionen vertiefen, und jene edle Simplizität, welche dem Worte Gottes so ganz eigen ist, zu sehr aus den Augen verlieren möchtest. Ich weiß zwar wohl, daß ein tiefer Forscher des göttlichen Wortes auch tiefe Blike in seinen hohen, erhabenen Innhalt thun wird, welche dem oberflächlichen Leser nicht nur entgehen, sondern die völlig über sein Fassen und Begreifen sind; Ich gebe zu, daß zwischen der Natur – dem großen Hange der göttlichen Weltregierung und den Aussprüchen der Schrift eine gewisse Analogie und Uebereinstimmung Statt findet; aber eben so lebendig ist meine Seele überzeugt, daß eine beständige Vorsicht nöthig ist, damit man sich von der Einfalt auf Christum entferne. Mein zweyter Wunsch war und ist noch jetzt, daß wenn einmal deine eigene Seele zur ersten lebendigen Ueberzeugung der Wahrheit gekommen ist, du dich durch nichts in der Welt möchtest abhalten lassen, auch ein freyes offenes Bekenntniß davon abzulegen, die Folgen für deine weltliche Reputation mögen auch seyn, welche sie wollen. Je gerader, offener, ernster, furchtloser der Zwek ist, desto besser. Gott hat Dir solche Talente verliehen, und deinem Geist mit solchen Einsichten und Kenntnissen ausgerüstet, daß du nichts zu fürchten hast als die Ungnade des Herrn der Welten. Ich habe dir frey meine Gedanken und Wünsche mitgetheilt. Handle eben so frey mit mir. Du bist mir an Talenten und Kenntnißen weit überlegen. Ich erkenne und fühle dieß. Gerne will ich von dir lernen. Kritisire, was ich schreibe, auf das schärfste. Jede Kritik von dir ist mir willkommen. Ich liebe die Wahrheit. Sie ist mir kostbarer als Gold. Bete für mich. Ich will für dich beten. Unsere beyderseitige Lage ist wichtig. Tausende sehen auf uns, und wir wollen auf Gott sehen, vor Ihm handeln und wandeln, seine Ehre suchen, seinen Beyfall allem menschlichen Beyfall vorziehen, und für die Freyheit arbeiten. Grüße deine verehrte Gattinn auf das Herzlichste von mir. Ich gewann sie sehr lieb, und danke Gott daß Er dir solch’ eine Gefährtinn verlieh. Grüße alle unsere Freunde. Ist noch nichts weiteres für die Bibelsache geschehen? Hier geht sie ihren großen, schönen Gang fort. An Opposition fehlts auch nicht. Aber gerade durch die Opposition gedeyht sie desto mehr. Schreib bald wieder.
Postgeld für die Briefe bezahle ich gern.
Dein
Carl St.