Ludwigslust am .
Mein verehrter Freund!
Es hat mir schon lange an der Seele gelegen, Ihnen auf Ihrem lieben, freundlichen Brief vom zu antworten und Ihnen, so wie ichs dem Freunde der mich so oft ernst und treu berathen schuldig bin, über die Veränderungen zu schreiben, welche seit etwas mehr als einem halben Jahre, in meiner hiesigen Lage eingetreten sind. Ohnfehlbar werden Sie davon gehört haben, daß ich schon gegen eine Bittschrift um eine Profeßur in Erlangen (auf M. von Lerchendfelds Rath) in München eingereicht habe und daß ich darauf gegen , meinen hiesigen Posten aufkündigte, noch ehe ich Antwort von M˖[ünchen] aus hatte. Ich weiß nicht, wie Ihnen jener Schritt erschienen ist, mit dem einige Freunde, denen die innren Triebfedern unbekannt sind die mich dazu drangen, nicht zufrieden waren. Ich selber aber, mein verehrter Freund, glaube über meinen Schritt und alle seine Folgen, wohl ruhig seyn zu können.
Mein erster Brief an M. von L˖[erchendfeld] (vom ) worin ich diesem zu verstehen gab, daß ich eine Wiederanstellung in Baiern (namentlich in Erlangen) allen etwa fernerweitigen Aussichten die ich hier hätte, gerne vorziehen würde, war, was diesen wesentlicheren Theil seines Inhalts betrifft, fast wörtlich auf den schriftlichen Rath eines Freundes entstanden, einen Rath, den ich, wenn ich an Erhörung, ja an wörtliche und fast augenblickliche Erhörung eines Gebetes aus zerbrochenem und geängstetem Herzen glauben wollte, als Stimme von oben her betrachten und als solche befolgen mußte. Nun weiß ich zwar wohl, obgleich Anfänger auf diesen Wegen, daß uns auch hier gar leicht Gespenster statt Engel täuschen können und das zuweilen eine arge Unlauterkeit (böse Ungeduld, wie bei jenen ungehorsamen Kindern, die nach den Fleischtöpfen Egyptens lüstern waren und weinten und allerdings auch Fleisch, und Verderbens zugleich die Fülle erhielten
) aus uns beten und auch zu ihrer eigenen Bestrafung und Läuterung erhört werden könne. Aber ich glaube jenes Mal wohl nicht (so viel ich nach menschlichen Einsichten urtheilen kann) ohne den Geist Deßen gebetet zu haben, der uns keinen Scorpion giebt, wenn wir ihn um einen Fisch bitten
. – Auf jenen ersten Brief erhielt ich denn eine Antwort, die mir eben wieder zu jenem 2ten Schritt – der Bittschrift an den König, mit Beziehung auf meine früheren Dienstverhältniße in B˖[aiern] rieth und gute Hofnung gab. Aus demselben Grunde der mich zu dem ersten Schritt trieb, that ich jenen 2ten, habe ich Unrecht gethan, so möge mirs Gott vergeben, in Berlin, wie ich aus guter Quelle (durch von Savigny wußte, den ich hier sprach) hätte ich keiner Bittschrift sondern nur eines andeutenden Winkes bedurft, um weiter zu kommen als mich meine Bittschrift in M˖[ünchen] geführt hat, aber dazu fehlte mir der (höhere) Grund, den ich zu meinem andern Schritte hatte.
Meine beiden ersten hatten nun auch (ohne daß ich den Erfolg davon abwarten konnte) einen dritten Schritt zur nothwendigen Folge. In meiner hiesigen Lage mußte ich nothwendig eine vorhabende Veränderung wenigstens 1/2 Jahr und länger voraus anzeigen. Nun werden Sie sich wohl noch erinnern daß ich anfangs, bei meinem Hierhergehen, ausschließend, und auch späterhin noch zunächst, für den Unterricht der jungen Herzogin Marie herberufen wurde, daß man aber zugleich mir eine ehrenvolle Anstellung bei der Direction des Studienwesens im Lande versprach und mir es in dem lezten (die Sache entscheidenden) Briefe zur Pflicht machte, daß ich, im Fall es verlangt würde, auch die jüngeren Kinder des Herrn Erbgroßherzogs in Erziehung und Unterricht nehmen solle.
Was nun meine erste und nächste hiesige Verpflichtung betrifft, so geht diese aller Wahrscheinlichkeit nach schon nächste , gewiß aber doch nächste zu Ende, denn es ist hier bekannte Sache, daß die Kaiserin Mutter aus Rußland (die Großmutter der Herzogin Marie) nächsten nach Deutschland kommt, um ihre Enkel zu sehen und (so sagt man weiter) eine Verbindung der Herzogin mit einem deutschen Prinzen einzuleiten. Gesezt aber auch daraus würde nichts; so war gleich anfangs mein Unterricht bei der Prinzessin nur auf einen 2 1/2 bis längstens 3 jährigen Cursus berechnet und dies auch in dem dem Erbgroßherzog übergebenen Plane, bestimmt erklärt. Da wäre er also auch Michaëlis oder längstens Ostern zu Ende.
Was die 2te Verpflichtung betrifft, so hat man mich derselben schon längst stillschweigend erlaßen, indem mir (wovon vielleicht die beständige Abwesenheit des hiesigen Ministers von Plessen in Frankfurt Ursache ist) noch keine einzige von allen jenen gemachten Versprechungen erfüllt ist, auch gar keine Aussicht zur Erfüllung (wenigstens bei Lebzeiten des noch sehr rüstigen Großherzogs) da ist. Auch fühle ich weder Geschick noch innren Beruf zur Sache.
Was die dritte angeht, so habe ich zwar schon seit länger als anderthalb Jahren den Elementarunterricht des sehr intereßanten und liebenswürdigen kleinen Prinzen Albrecht, freiwillig übernommen, aber eigentlich, in der Form in der es sonst immer geschieht, hat man es weder schriftlich noch mündlich jemals von mir verlangt, vielmehr hatte sich der Erbgroßherzog, nachdem mein Altes und Neues hier bekannt worden geäußert: nun könne ich doch unmöglich den Unterricht des Prinzen Albrecht behalten, auch hat man schon seit leztem einen adlichen und eigentlich sogenannten Erzieher neben mir bei Prinz Albrecht angestellt. – Meines Bedünkens dürfte ich mir also wohl kein Gewissen daraus machen, wenn ich mich anschickte, nach vollendetem Unterricht der Herzogin Marie von meinem Posten abzutreten, obgleich dem Herrn Erbgroßherzog, wie ich durch andere und durch ihn selber weiß, mein Weggehen sehr leid that und er es gern verhindert hätte.
Aber wie nun? auf einmal bekam ich, gar nicht einmal von München sondern auf eine fast unangenehme Weise von Erlangen aus die Antwort auf meine Bittschrift: daß weder in Erlangen noch an einer andern höhern Studienanstalt des Königreichs eine Lehrstelle für mich offen wäre, daß man jedoch bei vorkommender Gelegenheit auf den Bittsteller geeignete Rücksicht nehmen werde. Etwas unerwartet war die Antwort nach den vorher gehabten Aussichten wohl, indeß hat michs doch nicht aber auf lange unruhig gemacht. Ich bin sogar recht froh daß ich meinen Entschluß noch vor angezeigt habe. Denn bald nach Ostern haben wir, an der Prinzessin Auguste von Hessen Homburg, der nunmehrigen Erbgroßherzogin, eine Fürstin erhalten die freilich anders ist als alles was ich bis jezt von der Art gesehen; fromm und gut, geistvoll und mild, und die schon in der kurzen Zeit seitdem sie hier ist, still und seegensreich wie eine wohlthätige Naturerscheinung auf ihre Schweiß unsers Angesichts
erkaufen. Soll dies aber in den Thränen unsers Angesichts geschehen, so ist es zu theuer erkauft, dieser Preis darf nur für das Brod von oben bezahlt werden.
So mag es denn seyn, wenn es Gottes Wille ist gehe ich nach Dresden, wo ich den 3ten Band meiner Ahndungen arbeiten will. Und von nun an soll mich auch nichts mehr meiner Wissenschaft entreißen. Vielleicht gelingt es mir wieder Lehrer an einer Universität zu werden, dann soll mit Gottes Hülfe mein ganzes übriges Leben einer Physica sacra geweiht seyn, welche, nach meiner Meinung wohl eines solchen Preises werth ist.
Der Gedanke den Sie in Ihrem Briefe äußern, mein verehrter Freund! daß ich eigentlich hätte sollen Prediger werden, hat mir oft auch heiß und schwer auf der Seele gelegen, und thut es noch. Es war meines Vaters Wille und innigster Wunsch und ich hatte schon ein Jahr Theologie studiert. Aber der Saame der Unruhe, der vorher in mich gelegt war, trieb mich von jener nächsten Bestimmung weg und führte mich einen andern scheinbaren Abweg, auf dem ich, Gott sey dafür gelobt, das wieder fand, was mir jener böse Saame genommen hatte. Umzukehren ist es nun zu spät, so helfe denn Gott auf dem einmal eingeschlagenen Wege vollends nach Hause. Und wenn ich alles das bedenke was mir auf dem bisher zurückgelegten Stück Weges begegnet ist, so wird mir das Herz wohl freudig, und voll Hoffnung und Zuversicht, daß ich wirklich der Heimath zugehe. Besonders hier, mein verehrter Freund! in dem Glutofen, ist mir Manches und Vieles begegnet, das ich erst einmal künftig, wenn ich aus diesem Ofen heraus bin, recht anerkennen werde. Freilich, mit dem eigentlichen und wesentlichsten innren Wunder, mit jenem der Genesung und des Gestalt-Gewinnens, geht es langsam vor sich und stockt so oft. Dennoch habe ich erfahren daß der »Stecken und Stab
« seiner Zeit auch ein Herr seyn und werden könne.
Man hat mir gesagt mein verehrter Freund! daß von Ihren Weltenaltern schon 2 Bände gedruckt wären. Im Buchhandel sind sie aber noch nicht zu haben. Ich würde mich recht freuen wenn ich dieses Buch haben könnte. Zuweilen ist mirs als wenn mir erst jezt recht das Auge und der Sinn für solche Schriften aufgehen sollte. Hier in der Wüste, wo ich fast gar keine Bücher habe, sind mir solche Thautropfen recht Bedürfniß. Besonders jezt, wo ich bei einer Arbeit bin, die nur in vielfältigen Berührungen und Beziehungen mit und auf das Beste Vorhandene recht gedeihen kann, wäre mir ein solches kräftiges und reichliches Nahrungs und Erregungsmittel wie mir wohl gewiß Ihr Buch seyn wird, von großem Werthe. Doch es ist mir noch bisher immer, auch in solchen Dingen das nöthige tägliche Brod geworden, so wird es auch diesmal, in der Bücher-armen Gegend nicht daran fehlen.
An der Bekanntschaft Ihres Verwandten, Dr Kleß, habe ich mich recht herzlich gefreut, bei dem ist es mit Herz und Kopf wohl und reich bestellt, eben so wie bei dem tüchtigen und kräftigen jungen Kapf, der ihn begleitet. Unter einem ziemlich großen Theil unsrer jetzigen Studirenden, scheint sich überhaupt ein Geist zu regen, der einem wohl für die nahe stürmische Zukunft gute, große Hofnungen giebt. – Gott gebe den Lehrern von unsren deutschen Universitäten rechten Ernst und Verstand und rechte Liebe in unsrer an allen diesen Stücken ziemlich armen Zeit .
Nun mein verehrter Freund! laßen Sie sich diesen, bei aller Weitläuftigkeit armen Brief, nicht verdriessen. Ihnen glaube ich es schuldig zu seyn, daß ich mich über meinen jetzigen Schritt, der aus der Ferne vielleicht unüberlegt erscheinen muß, rechtfertigte. Der die Sache angefangen, wird sie bald gut hinausführen, es sey da oder dort. Vielleicht komme ich bei der Gelegenheit Ihnen auch wieder dem Raume nach näher.
Ihre Frau Gemahlin bitte ich herzlich von mir zu grüßen. Gott segne Sie und Ihr ganzes liebes Haus. Mit Verehrung und Liebe
Ihr
dankbar ergebner
G.H. Schubert.