Seiner Hochwohlgebohren
Herrn Director von Schelling
zu
Dobbertin am
Mein verehrter Freund!
Für die wenigen, nichtssagenden, eiligen Zeilen, worein ich in Plauen die ersten Bögen der Umarbeitung meiner Ans˖[ichten] von der N˖[achtseite] der N˖[aturwissenschaft] an Sie couvertirte, hoffe ich Ihre Verzeihung zu haben. Ich war damals gar zu sehr von außen gehemmt und gebunden, und mußte, von da an bis vor wenig Tagen immer auf der Reise, meinen Wunsch Ihnen einen längeren Brief nachzusenden, bis heute bei mir halten.
Zuerst einige ausführlichere, ruhigere Worte über meine hiesige Lage. Freilich passe ich meines Theils eben nicht sehr an einen Hof; mir ist es oft und immer in diesem völlig fremden Element, wie Einem, der viele 100 Meilen von seinem Vaterlande, unter den ganz unbekannten, ihm an Sprache und Gebräuchen unverständlichen, an ihm und seinen Leiden und Freuden völlig untheilnehmenden Kindern eines andern Welttheils, verlaßen dasteht, dagegen habe ich (so scheint mirs) in dieser Lage an innrer Festigkeit nicht verlohren sondern gewonnen. Denn die ewigen Berge, von denen mir Hülfe kommt
, (Ps˖[alm] 121) giebt es auch Gott Lob! hier im flachen Lande und die Luft aus der ewigen Heimath, die über zum Berge kommt, wehet einen auch hier an in der Wüste, und die Sehnsucht nach dem ewigen Heim wird da lauter, fester, tiefer. In solchen Lagen lernt man beten, und dazu sind solche Lagen da, wie die Mutter ihr Kleines noch schwachfüßiges Kind ein wenig von sich wegstellt, damit es zu ihr hin laufen lernt und wie sie es bei andrer Gelegenheit in Lagen sezt, wo es bitten lernen soll. Ja Gott Lob! es ist so gut und recht.
Im Ganzen (denn die Ausnahme, wo ich den größten Theil des Tages am Hofe leben, da speisen, dem Thee und der Conversation beiwohnen u.s.w. muß, dauert nur jährlich 1 bis 1 1/2 Monat) lebe ich ziemlich abgesondert vom Hofe, habe mein eignes Haus und bin täglich etwa nur 3 Stunden (Vormittags von 9–12 oder 1) im Schloße, bei den fürstlichen Kindern und nur einmal in der Woche auch Nachmittags 2 Stunden. Demohnerachtet bleibt mir wenig oder keine Zeit für mich übrig, denn da es in dem armseeligen Ludwigslust gänzlich an aller befriedigenden Gelegenheit fehlt, meine Kinder unterrichten zu laßen muß ich ihnen (Selma ist nun schon 11, Adeline Ritter 10 Jahre) selber Unterricht geben und so endigt gewöhnlich meine kleine Schule nur erst Nachmittags um 4, und auch dann ist das Restchen vom Tag nur noch sehr aufs Unsichre mein, da ich in L˖[uwigslust] zehnmal mehr als in dem großen Nürnberg, wo ich so viele, liebe Freunde hatte, von Menschen überlaufen bin, denen ich in meiner Lage mancherlei seyn soll und zum Theil auch (Gewißens halber) seyn muß. Indeß, in so ferne diese Zeitverwendung nicht von meinem Willen abhängt, kann ich mirs gefallen laßen. Aber wehe thut es, sehr wehe, besonders wenn man, wie ich vorigen , keine andre Aussicht aufs Anderswerden hat, als die Aussicht aufs Grab.
Was meine, übrigens lustige Lage in Ludwigslust, einiger maßen ein wenig traurig macht, ist, daß meine arme Frau nun dort, in Unmuth, Kummer und fast tödlichen Eckel und Verdruß an Allem was zu jenem lustigen Orte gehört, beinahe zu Grunde geht. Wenn man nun so gewohnt ist sein Bischen Freude und Erholung auf der Welt, in seinem Hause zu suchen und zu finden, und nun findet man auf einmal wenn man nach einem, moralich recht sauren Tage müd und matt nach Hause kommt, rothgeweinte Augen und stumme Lippen und die armen Kinder, die noch nicht recht wißen warum, auch traurig mit den Eltern, dann thut einem freilich nur noch das Aufblicken nach Heim, wohl und gut. Und doch ja, meine Seele ist stille
(Ps˖[alm] 62)
Freilich ist sie daß nicht immer, sondern hat sich mit unter durch Mürren, Unmuth, Ungeduld schlimmer gehabt, als jene störrige Kinder in der Wüste, indeß 40 Jahre vergehen am Ende auch, und 40 Monate noch schneller. Doch wie Gott will, ich werde mich am Ende bei 40 Jahren auch zufrieden stellen.
Im Anfang, oder bald nach dem Anfange hatte ich etwas auszustehen, durch fremden Haß und vielleicht auch das was man Cabbale nennt; – nach dem Erscheinen meines Altes und Neues, suchte man mir den kleinen Prinzen ganz zu entreißen, wenn ich zur gewöhnlichen Stunde zum Unterricht kam, war er entweder bei seinem Vater oder wurde hingeholt und wenn ich dann sagte jezt sey dazu keine Zeit, so wurde wohl noch 1–2mal geschickt, er solle nur auf einen Augenblick kommen; aber mein Unterricht war zerstört. Mir schien das wenigstens – zusammengehalten mit andern Aüßerungen der fürstlichen Personen, die ich, wie hier Alles,
Das kann ich Ihnen aber versichern, und vielleicht ist es Ihnen sogar aus einigen Stellen in Bögen der Umarbeitung meiner Ansichten von der N˖[achtseite] der N˖[aturwissenschaft] deutlich gewesen
Ihr lieber Brief war im einer der ersten Sonnenblicke hieher in meiner Einsamkeit. Herzlichen Dank und Gottes Seegen für alle unverdiente Liebe. Ich habe Sie aber recht lieb und will Sie auch, in und mittelst einer ewigen und nicht vergehenden Liebe von oben, recht lieb behalten. Können wir uns auch, dem Aüßeren nach, auf Erden nicht viel mehr helfen und schaden, denn mit meiner Schriftstellerei ist es, unter solchen Umständen auch eine mißliche Sache, so können wir uns desto mehr in der Hauptsache, am inneren Menschen, fördern, helfen und stärken; denn »ich glaube an eine Gemeinde der Heiligen«, deren armes, schwaches, krankes Mitglied, ich
Im nördlichen Deutschland, mein verehrter Freund! bereitet sich, wie ich mich selber überzeugt habe, unter manchen Schlacken und Unreinigkeiten eine große, innre Erweckung vor, von welcher die A.H. Frankische (oder Terstegensche u.a.) Zeit nur ein Vorsabbath gewesen scheint. Möge es dieser guten Saat nicht an Thau und Sonne von oben mangeln, dann wird es nicht schaden, daß von anderen Seiten so viel giftiges Unkraut zugleich mit aufkommet. Ja »Sein Reich komme« »Sein Wille geschehe«. – Wir aber warten auch auf den Trost Israëlis, und haben uns lieb.
Ihre mir herzlich verehrte Frau Gemahlin und Kinder bitte ich recht freundlich von mir zu grüßen. Die meinige, wenn sie hier bei mir wäre, würde auch herzlich mit grüßen. Laßen Sie uns denn verbunden bleiben in und mit Ihm, der unser lacht, unser Trost unre Kraft und Zuversicht seyn und bleiben soll. In Ihm
Ihr Sie herzlich liebender
Freund und Mitstreiter
Schubert.
Meine Addresse ist an Profeßor Schubert zu Ludwigslust in Meckl˖[enburg] Schw[erin]. Möchte ich bald eine Sendung von Ihnen erhalten, Oberpostammtsrath und Oberpostammtsverwalter Hüttner (Hüttner) in Leipzig besorgt sie