Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Sr. Hochwohlgebohren

den Herrn Director und Ritter

von Schelling

in

München

d[urch] G[üte].

Der Überbringer dieses Briefes ist Dr. Waagen, Vetter von meiner Frau. Er ist ein paar Jahre hindurch in meinem Hause gewesen und ich habe ihn ganz außerordentlich lieb. Er beschäftigt sich vorzüglich mit der Kunstgeschichte, die er gründlich mit Lust und Liebe treibt. Er hat viel gesehen und ist in der Kunst erzogen. Ich müste mich sehr irren, wenn du ihm nicht auch, troz seiner socratischen Physiognomie, lieb gewönnest.

Wie geht es dir, lieber theurer Freund! Ich hoffe du bist nicht mehr so einsam, so innerlich in steten Kampf mit den großen, wunderherrlichen Schaz, der dir anvertrauet war. Ich hoffte lange es doch durchzusetzen, daß ich zu dir käme und mit schwerem Herzen habe ich – doch wohl nicht ganz – die Hofnung aufgegeben. Ich mußte. Meine oekonomische Lage verschlimmerte sich und mit dieser mußte ich vor Allem in Ordnung, unter den waltenden Umständen wollte ich der Regierung nicht zu viel verdanken. Ich war in der That einmahl in der Lage, daß ich mein sogenanntes Glück machen konnte. Ich habe es ausgeschlagen und bin, arm in der Provinz geblieben. Doch hat meine Lage sich etwas gebeßert. Im ersten Jahr wollte das alberne Volk, daß ich an der Spitze einer politischen Faction treten sollte. Es fehlte nicht an Aufforderungen mancherley Art. Keiner begreift es, wie man genug mit sich selbst zu thun hat, und wie das Streben die Zeit und sich im der Zeit und mit ihr zu faßen, einen Menschen eben so sehr bewegen kann, wie ihr flacher Enthusiasmus. Es hat mich ordentlich amüsirt, daß ich ein Obscurant geworden bin.

Nun aber kommen die elenden Schritte der Regierungen in der lezten Zeit, die Beschimpfung der ganzen gelehrten Welt, ein Attentat, wie es seit der Philosophen-Verfolgung unter Domitian nicht stattgefunden hat. Jezt muß ich wieder hervortreten, und thue es – Aber, glaub’ mir lieber Freund! ich habe das Zeug herzlich satt. Das Schimpfen freilich kümmert mir wenig. Destomehr, daß alte Freundschaft an dieser Klippe der Seichtigkeit der Zeit scheitern sollte. Der zweyte Theil der Caricaturen laße ich in zwey Abtheilungen drucken. Die erste, die alles enthält, was ich von den Staat noch zu sagen habe, wird Gottlob in diesen Tagen fertig, und dann auch, von Staaten und Völker kein Wort mehr in meinem Leben –

Wir leben hier indeßen recht lustig und guter Dinge, ich bin heiter, sammle fleißig zu meiner Kritik der Physik und habe keinen heißern Wunsch, als mit dir, theuerster, herrlichster Freund! einige Monathe zu verleben, deine liebenswürdige Frau, deine liebliche Kinder , dich selbst zu sehen. Ich muß schließen, denn die Hofnung ergreift mich.

Grüß deine Frau und behalt mich lieb
dein

Steffens