Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Meinen letzten Brief an Sie, Mein theurer, hochverehrter Freund, schrieb ich in Eile, und nehme mir heute die Zeit, sowohl Ihren früheren vom als Ihren letzten vom ausführlichst zu beantworten.

Mit den Vorwürfen, von denen ich in meinem letzten Briefe redete, war es nicht in dem ernsteren Sinne gemeint. Alles was Sie mir sagen, kann nie eine beleidigende Wirkung haben, obgleich von der andern Seite Ihre Misbilligung und Ihr Tadel mir weher als von irgend Jemand thut. – Je selbstständiger man wird, desto weniger findet man andere selbstständige Menschen, die mit einem übereinstimmen, desto isolirter wird man im Leben und in der Wissenschaft, und desto schmerzlicher wird jede neue Discrepanz, welche sich, sei es auch nur in Ansichten und Meinungen, zwischen zwei sich rein achtenden Menschen erheben. So kann mir gerade Ihr Urtheil, Mein theurer Freund, am wenigsten und um so weniger gleichgültig sein, je mehr ich Ihnen mit der innigsten Achtung zugethan bin, und einen je größeren Werth Ihr Urtheil für mich hat, und leider muß ich nach Ihren letzten beiden Briefen eine Differenz besonders unserer wissenschaftlichen Ansichten, nur zu sehr fürchten.

Bei meinem Systeme bemerken Sie zuerst, in der früheren Ausgabe die Anerkennung eines gründlicheren, specielleren Dualismus gefunden zu haben. – Ich leugne nicht, daß das Grundprincip sehr allgemein gestellt ist (es ist wörtlich aus meinen früheren »Grundzügen« abgedruckt) indessen scheint es mir einestheils, daß uns hieraus die Anknüpfungen an ähnliche Lebensverhältniße gegeben sind, wie Sie denn auch mit Recht bemerken, daß das Princip der Oscillation beßer Princip der Physik heißen könne. – Gerade hiermit ist ja aber die Krankheit dem bisherigen einseitigen Standpuncte entnommen, und als eine rein physische, (oder meinetwegen physikale) Erscheinung dem Leben überhaupt untergeordnet; auch sehe ich nicht ein, wie man desWegen die Krankheit specieller definiren könne. Alle bisherigen Definitionen, wenn sie von der Galenischen der αμετρια abgehen, und specieller werden, fassen immer nur einzelne untergeordnete Erscheinungen auf, reissen sie aus der Unterordnung unter die allgemeinen Gesetze des Lebens, und somit die Medicin aus der Unterordnung unter der Physiologie im allgemeineren Sinne.

Sie möchten mich verkennen, wenn Sie glauben, daß mein in den letzten Jahren mehr practisch thätiges Leben mir eine oberflächlichere Richtung gegeben hatte. Nachdem mir die allgemeinen Gesetze des Lebens klarer erschienen sind, habe ich allerdings versucht, das Leben in allen seinen Gestaltungen und Formen denselben zu unterordnen; meinen Sie hiemit die allgemeinere Richtung, über welche der speciellern in der Tiefe Eintrag gethan, so gebe ich Ihnen im ersteren Recht, im letzteren nicht, weil ich mich immer mehr überzeuge, daß die leztere ohne die erste nur zur Einseitigkeit führt. In dieser Hinsicht, abgesehen von dem politischen Genuß, sind mir meine Feldzüge von unendlichem Nutzen gewesen, weil Sie mir und mit der größeren Sicherheit der Lebensansicht überhaupt auch eine größere Sicherheit und Tiefe in der Ansicht des Einzelnen gegeben haben. – Jedoch, dieß möchte wohl eher in einem mündlichen Gespräche, als hier ausgemacht und verständigt werden.

Schmerzlicher ergreift mich die entstehende Discrepanz unserer wissenschaftlichen Grundansichten, über die ich kaum reden kann, und die ich in Ihrer Bemerkung über §. 746 klar ausgesprochen finde. – Wenn dieser § von der ganzen im Persönlichen befangenen glaubigen Welt widersprochen würde, so hätte ich gerade bei Ihnen volle Zustimmung erwartet, da er nur auf Ihre früheren Ansichten beruht, und nur in strenger Wissenschaftlichkeit begründet ist. Ich bin hierüber mit mir ganz im Reinen, nicht ohne große Opfer mancher früheren Ansichten, und ich verdanke dieß zur Erkenntniß kommen vorzüglich Ihnen. Es handelt sich hier nicht darum wer Recht hat, denn dieß kann meinem persönlichen Interesse ganz gleichgültig sein, sondern um die hiermit gestoerte Harmonie unserer Ansichten. Geben Sie mir einen streng wissenschaftlichen Beweis ihrer Ansicht, und ich gebe gerne die Meinige auf, da die Wahrheit mir heilig und kein Opfer mir für dieselbe zu groß ist.

Dieß führt mich nun auf mein Archiv f˖[ür] den Thier˖[ischen] Magnet˖[ismus]. In Ihrer Bewertung daß wir hätten sollen die Thatsachen mehr critisch sichten vor der Aufnahme, möchten Sie, was die Nicksche Geschichte der Krämerin betrifft, Recht haben. Da man indessen diese critische Sichtung nur an Ort und Stelle gründlich vornehmen kann, weil man dazu alle Nebenumstande genau kennen muß, so fällt dies vorzüglich Eschenmayer anheim. Ich, als entfernter Mitherausgeber war hierbei passiv. – Habe ich Fr Baader Unrecht in meinem Urtheil gethan, wenn er, was man nicht aus seiner Schrift lernt, mehr wie diese aussagt, der doctrinellen Erkenntniß zugethan ist, so thut es mir leid, obgleich denn die Schuld, wie Sie selbst bemerken, an dem ihm mangelnden Talent der wissenschaftlichen Entwickelung liegen möchte. – Allein ich fürchte, daß auch hier die Motive Ihres Urtheils tiefer liegen dürften, nemlich in der Discrepanz unserer wissenschaftlichen Ansicht überhaupt. – Ueber meine Ansicht der Wissenschaft in der Anwendung derselben auf die Erscheinung des th˖[ierischen] M˖[agnetismus] habe ich mich in einer Abhandlung im 2 B˖[and] 2 Stück des Archivs unumwunden erklärt. Ich kann nunmahl meiner Natur nach, allen mysteriösen Ansichten nicht beistimmen, sobald sie, anstatt aufs Wissen sich auf den Glauben stützend, jenes verdrängen wollen. Ich wünschte, daß Sie mir über Ihre Ansicht des th˖[ierischen] M˖[agnetismus] einen Aufsatz für mein Archiv zukommen ließen, – denn diese furchtbare Erscheinung verdiente wohl, daß auch Sie ihr einige thatige Aufmerksamkeit widmeten. Um ihren Untergang in der Meinung der Welt ist mir nicht mehr bange, denn was wahr ist, wird wohl bestehen, früh oder spät, wenn es an der Zeit ist, aber uns ist an der Art des Bestehens gelegen.

Dieß Ihr langes Stillschweigen in Allen Sachen erinnert mich an unsere politischen Verhaltniße. Alle Ihre treuesten Freunde können es Ihnen kaum verzeihen, daß Sie vor großer Zeit so scheinbar müßig zugesehen haben. Man trug sich mit einer Antwort von Ihnen auf eine Aufforderung auch zum allgemeinen Zweck mitzuwirken »Mein Reich ist nicht von dieser Welt.« Hierauf gründete sich die Aeußerung meiner Freude in meinem letzten Briefe, daß Sie der öffentlichen Sache nicht fremd geworden seien, und ich freue mich recht herzlich auf die Erscheinung des Ganzen Ihres Systemes von ###. Wohl ist ein blutiger Kampf auch im Reiche der Wissenschaft wie im Leben von nöthen, wenn etwas Besseres kommen, und man sich einem mehr denn an Deutschland verzweifelnden Glauben hingeben soll, daß in der Wanderung von Osten nach Westen Deutschland abzusterben beginne, und nur in Amerika die Entwickelung der Gehirne zu erwarten sei, ein Glaube, dessen ich, wie ich offen gestehe, noch immer nicht ganz Meister werden kann.

In unserer Wartburgsangelegenheit hegen Sie noch immer den irrigen Glauben, als wie das Ganze nur ein abgekartetes Spiel gewesen sei, um unsern Grosherzog zu verherrlichen. Das ist es bestimmt nicht. Sie scheinen Fries als das Hauptwerkzeug im Sinne zu haben. Ich stehe in keinen besonderen Verhältnißen mit demselben, aber hierin thut man ihm Unrecht. Einige seiner Schüler haben zwar das große Werk geführt, und ihm nachgesprochen, allein Fries selbst ist an der Anordnung des Festes ganz unschuldig. Er war selbst am noch unschlüßig, ob er nach Eisenach gehen sollte, und nur mein Beispiel bestimmte ihn. – Jedoch möchten alle diese Einzelheiten nicht hinreichen, das Gegentheil Ihrer Meinung zu beweisen, die nur durch die genaue Kenntniß aller Umstände wiederlegt werden kann, die aber leider selbst die Cabinette ergriffen hat. – Die Wartburgsversamml[un]g war eine herrliche, einzige Erscheinung, ganz im Sinne, wie Sie, daß sie hätte sein können, andeuten, aber man hat das Exoterische begriffen weil das Esoterische, Heiligere, weniger verstanden wird, es fehlte nicht viel, daß wir uns alle schämen müßten, bei einer der edelsten Erscheinungen der Zeit gegenwärtig gewesen zu seyn. – So hat man denn auch von Seiten der Höfe ein förmliches Vehmgericht über unsern Grosherzog gehalten, der im Ganzen bei der Wartburgsgsangelegenheit sich passiv verhalten hat; Hardenberg und Cichy letzterer mit einem eigenhändigen Schreiben des Kaisers, forderten vom Grosherzog Rechenschaft seines Benehmens, wegen Wartburg, Preßfreiheit p. – Indessen ist mir nicht bange, daß die Wartburgsfeierlichkeit ihren Werth auch noch bei dem gegenwärtigen Geschlechte sich vindiciren wird. – Zu diesem Zwecke habe ich eine Beschreibung derselben zum Drucke ausgearbeitet, die aber noch bei Hardenberg liegt, der sie zur Durchsicht verlangte. Ob ich mich in derselben über die Allgemeinen Verhaltniße auslaße, wovon ich in meinen früheren Briefen sprach, weiß ich noch nicht, da unsere Preß-Freiheit sehr problematisch geworden ist.

Okens Isis war inhibirt, bei Gelegenheit der Embleme, mit welchen er in seiner Beschreibung von Wartburg die Verbrannten geziert hatte. Man klagte ihn aber der Gotteslästerung, des Hochverraths , des Majestätsverbrechen, alles in der Isis ausgesprochen, vorzüglich in seiner Critik unserer landständischen Verfassung an. Die Isis ist wieder freigegeben, der Proceß aber noch nicht entschieden, noch glaube ich daß er mit einer policierlichen Geldstrafe davon kommen wird. – Das weimarische Oppositionsblatt ist nun inhibirt, auf Reklamation von Oesterreich. So drücken in dem freien Deutschland die Großen auf die Kleinen, welche letztern glauben frei zu sein!

Haben Sie bei der Wartburgsfahrt genauere Indicia geheimer Umtriebe, so theilen Sie mir sie mit, da mir an Eruierung der Wahrheit unendlich viel liegt. Ich bin mit unseren Studenten, mit ihrem Geiste und Treiben sehr genau bekannt, genauer als vielleicht einer meiner Collegen, aber ich habe auch nicht den mindesten Verdacht solcher Vorgänge. Fries handelt unvorsichtig, und die Welt nicht kennend, sich von seinen Gefühlen hinreissen lassend. Er hat gegen seine Erwartung hier ein großes Publikum gefunden, und sich hierauf verleiten laßen, als Sprecher aufzutreten. Aber er ist sicher nicht Werkzeug höherer Hand. Im Gegentheil hat ihn nur das hiesige Oberappellationsgericht von einer Anklage auf Majestätsverbrechen, wegen Mitwissen an der Verbrennungsgeschichte retten können, und in Weimar ist man auf ihn, wegen seiner Unvorsichtigkeit mit Recht sehr aufgebracht. Er kennt nicht manche frühere Vorgänge, sonst würde er nicht so offen von geheimen Bünden schwatzen.

Somit schließe ich diesen langen Brief. Leben Sie wohl. Seien Sie überzeugt daß keine Ihrer Aeußerungen meiner unbedingten Ergebenheit Eintrag thun, noch meine freundschaftliche Verehrung vermindern können, mit derer ich Ihnen von ganzem Herzen zugethan bin.
Ihr

Dr. DG Kieser