An Pauline
Aus dem Zimmer, wo noch alles Dich athmet, wenige Augenblicke nach der Rückkehr von unsrer Trennung, schreibe ich Dir holdseligstes Leben, diesen Brief, zwar in dem festen Glauben, daß die Hand, die auf ihm ruht, früher als er in der Deinigen ruhen wird, aber auch ergeben, wenn es nicht seyn kann, den glückseligsten Augenblick zu erwarten. Kommt er nach mir, so siehst Du wenigstens, wie ich nach der Trennung empfunden, und kannst damit das Gefühl vergleichen, das bey der Wiedervereinigung mich mit Dir überströmt. Mein liebstes Kind, ich hoffe auf den Himmel, er wird diese Abwesenheit nicht lange währen lassen, die mich (ich will es Dir nun gestehen) ungemein schmerzt, ja mehr als ich dachte. Jetzt Du Engel ist Zeit zu beten, mein Gespräch und Denken ist nichts als ein beständiges Gebet, sein Inhalt ist nur der Eine große, der meinem Leben wieder Inhalt giebt. Dankte ich Dir nichts, so dankte ich Dir wieder den Glauben an die Liebe, und dieses ist das Größte, – die Hoffnung einer solchen reinen himmlischen Liebe, als ich kaum für diese Erde geschaffen hielt. –
Doch Du willst nicht, daß ich mit Liebesworten Dich anrede; eher Liebesschläge, die ich Dir leider nicht geben kann. Ich wünschte zu wissen, mit wem Du nun diese unmäßig langen 6 Tage des Abends kichern oder in das Winkelchen Dich zurückziehen wirst, um vor der Zugluft verwahrt aber von Küssen erwärmt zu werden. O einzige, unergründliche Anschläge, die das muthwillige Kind während seines Hierseyns alle erdacht; wer vermag es Dir gleich zu thun in unschuldiger Schlauheit und arglistiger Unschuld.
Auf dem Rückweg durch den Wald habe ich ein einzig Mayenblümchen gefunden und dabey mich geärgert, Dich nicht mein Mayenblümchen genannt zu haben. Von vielen artigen Namen wäre dieser einer der wahrsten gewesen.
Da es Dir an nichts weniger als an Geist gebricht, so laß Dir sagen, Mayblümchen, daß Du am besten thun wirst, in’s Kraut oder wie Du selbst sagst: in’s Stroh zu wachsen, daß nicht nicht so leicht jedes Lüftchen hin und her weht, so schön Du Dich auch wiegst und das Köpfchen neigst. Man sagt, im Schlaf wachse und gedeihe der Körper. Du kannst diese Zwischenzeit als Eine große Schlafzeit ansehen. Deine Sonne geht Dir jetzt hinter dem Thüringer Walde weg, wie dem Polarländer unter seinem Horizont. Doch ist es mit Dir anders, sechs Tage wird sie Dir fehlen und viele viele, lange Jahre Dir nicht mehr untergehn; Dich bescheinen, an sich halten und drücken, wie die Sonne die Erde an ihr Herz, welchen Druck die Dummen Leute die Schwere nennen. Schlaf’ Mayblümchen so lange; denke nichts, sey nur, die Zuthaten des Seyns laß alle fahren, werde gesund, kräftig, zum völligen Aufblühen bereit, Du Braut der kommenden Sonne. – Welche Einbildung! wirst Du wieder sagen, aber besser ist, Du sagst nichts, sondern schläfst, einem Kinde gleich, das Du ja wachend nicht minder bist, um zu gedeihen und hernach fröhlich zu seyn. Sollte nun der Brief doch glücklicher seyn, als der ihn geschrieben, so laß’ Dich’s nicht anfechten; auf jeden Fall ist er doch nur sein Vorläufer und Morgenstern, fehlen kann es ja nicht; wir werden uns sehen und nichts kann uns aus einander reißen, als der Arm, der uns zusammengeführt, und der will es nicht; kann er sich widersprechen?
Küsse und herze Mutter und Schwestern für mich; wer soll aber Dich für mich küssen? Niemand Kind; das kann nur ich allein. Vollende wohl Deine letzte Reise als Mädchen, Du mädchenhaftes Mädchen, Engel geleiten Dich Engel.