Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Hochverehrter Herr Doctor!

Nächst der Freude, längere Zeit Ihres erhebenden und belehrenden Umgangs in Carlsbad genossen zu haben, konnte mir nichts Angenehmeres widerfahren, als ein so willkommnes Zeichen Ihres gütigen Andenkens zu erhalten, wie Ihr Brief vom und die ihn begleitenden Schriften über die Hypsistarier mir gewesen. Leider habe ich im vergangnen unter fortdaurenden Abhaltungen und unbeliebigen Zerstreuungen nicht die Zeit gefunden, diese beyden so gelehrten und scharfsinnig gedachten Schriften mit der gehörigen Überlegung zu lesen, und so blieb denn auch meine Antwort verschoben, weil ich um nicht mit bloßen allgemeinen Worten zu danken, auch über den Inhalt so interessanter Schriften Ihnen zu schreiben wünschte.

Denn obgleich, was die Hauptsache betrifft – die ursprüngliche Existenz eines der eigentlichen Vielgötterey vorausgegangnen, aber doch mit Sabäismus versetzten Monotheismus – ich damit ganz einverstanden bin, ja dieß selbst die ipsissima verba eines schon vor von mir gehaltnen öffentlichen Vortrags über die Bedeutung der Mythol˖[ogie] sind: so fand ich doch in der Anwendung dieser Idee auf die Hypsistarier verschiedne Bedenken, insbesondre kann ich nicht glauben, daß die Worte ὑπ’ειδωλοις κ.τ.λ. p. 9. der lat˖[einischen] Abh˖[andlung] mit Herrn Böhmer auf die Hypsistarier als solche bezogen werden können. Denn 1) im Zusammenhang mit der Erzählung von der Mutter (S. 8. der deutschen Schrift) kann ich in den Worten ὑπ’ εἰδώλοις πάρος ἦεν ζώων, nur die Erwähnung eines äußern Umstandes (mit Ullmann, dessen Argumentation l.c. ich in soweit ganz beystimme), und nicht eine Andeutung seines specifischen oder individuellen Glaubens sondern nur der allgemeinen Categorie finden, nämlich daß er im Heydenthum geboren worden und als Heyde gelebt habe, wie wir von Arnold von Brescia und andern frühern Zeugen der Wahrheit sagen könnten, sie haben im Pabstthum gelebt, und von Johann Taulerus er sey ein Papist gewesen, ohne damit im Geringsten seine individuelle Denkweise ausdrücken zu wollen. Eine ganz falsche Stellung scheint mir (aufrichtig zu sagen) p. 9. der Sache gegeben, wenn es heißt: Ex quo cognoscendum, eundem, quum Hypsistariorum numero esset adhuc adscriptus, numina statuisse fictitia. Grad’ umgekehrt, so lang er Heyde war, war er Hypsistarier, er hörte erst auf, Hypsis˖[tarier] zu sein als er Christ wurde. – 2) Sollte der Ausdruck: ὑπ’εἰδώλ˖[οις] κ.τ.λ. auf den Glauben des Manns als Hypsistarier gehen, so wäre der Ausdruck gewiß unangemessen und nach Herrn B[öhmer]’s eigner Vorstellung von den H˖[ypsistarier] zu stark: ὑπ’εἰδ˖[ώλοις] ζῆν = δουλεύειν τοῖς εἰδ˖[ώλοις]. Für eine so bedingte Anerkennung ohne allen Cultus wäre nie das ὑπό pp gebraucht worden. Daß von gottähnlichen, aber durchaus nicht verehrten Wesen je der Name εἰδ˖[ωλα] gebraucht worden, erlaube ich mir um so mehr zu bezweifeln, als dieß eine rein theoretische Vorstellung (ohne alle practische Bedeutung) ist, welche ja auch im A˖[lten] T˖[estament] herrscht, wie der Gebrauch des Worts לֹהִים von den Engeln zeigt – noch mehr unter den Juden; denn was fehlt z.B. dem Metatron zu einem untergeordneten gottähnlichen Wesen? – 3) Endlich wenn εἰδ˖[ωλα], wie Herr B˖[öhmer] will, numina fictitia überhaupt bedeutet, so heißt in der Hauptstelle p. 6. τὰ εἴδ˖[ωλα] ἀποπεμπόμενοι, numina fictitia (nicht adorationem numinum fict˖[itiorum]) rejicientes, und unmöglich ist dann, daß von eben denselben, als solchen, gesagt werde, sie haben ὑπ’ εἰδώλοις gelebt. Hätten sie außer dem ὕψιστος andre Götter gelehrt, so würde da, wo jetzt τιμῶσι τὸ πῦρ καὶ τὰ λύχνα steht, statt des bloßen usus ignis et lucis in cultu sacro, vielmehr jenes erwähnt sein. Mit weit größerer Sicherheit als aus dem ὑπ’εἰδ˖[ώλοις] ζῆν auf die Anerkennung könnte hieraus vielmehr auf die Nichtanerkennung von andern gottartigen Wesen geschlossen werden. Es gäbe, meines Ermessens, nur Ein Mittel, den Widerspruch hinwegzuschaffen, nämlich: τὰ εἴδωλα in seinem genaueren Sinn zu nehmen, wo es nicht numina fictitia überhaupt, sondern bloß bildlich verehrte (also freylich auch nicht die bloßen Bilder) – oder mit andern Worten: wo es bloß die concreten nicht aber auch die allgemeinen Götter (Elemente, Sterne) bedeutet; ein Sprachgebrauch, der durch die p. 97 angef˖[ührte] Stelle des Epiphanius nicht widerlegt wird. Denn wenn er von den Magusäern sagt: εἴδωλα μὲν βδελυττόμενοι, εἰδώλοις προσκυνοῦσι, πυρὶ καὶ σελήνῃ καὶ ἡλίῳ, so ist dieß vielmehr ein Beweis, daß zwar Epiphanius zwischen wirklichen Gegenständen, dergleichen z.B. das Feuer ist und bloß bildlichen (wie die griechischen Götter waren) keinen Unterschied macht, wie denn in Bezug auf die wahre Religion auch kein Unterschied ist, und beyde für τὰ εἴδ˖[ωλα] erklärt – aber zugleich, daß sonst oder anderwärts unter εἰδ˖[ώλοις] blos Götter der letzten Art verstanden wurden. Wollte man den Widerspruch zwischen dem: τὰ εἴδ˖[ωλα] ἀποπεμπ˖[όμενοι] und der Annahme, daß sie untergeordnete Götter geglaubt, auf diese Art hinwegschaffen, so müßte dann a) bey dem τιμῶσι p doch mehr verstanden werden, als Herr B˖[öhmer] will, nämlich eine wirkliche dem Feuer und den Lichtern (letztern nicht als Abbildungen und εἰδώλοις sondern als reellen Erscheinungen der himmlischen Lichter) erwiesene – nicht grade Anbetung aber doch religiöse Verehrung, wie der Katholik das Weihwasser z.B. nicht anbetet aber doch religiös verehrt; b) hätte man dann doch damit nur erst die Freyheit gewonnen, den Hypsistariern die Anerkennung subalterner Quasi-Götter zuzuschreiben, aber in dem ὑπ’ εἰδώλ˖[οις] ζῆν müßte denn doch das Wort εἴδ˖[ωλα] auch jene genauere Bedeutung behalten und daher nicht auf den Glauben der Hyps˖[istarier] als solcher bezogen werden. Vergleiche ich aber 4) vollends die Stelle des nyssenischen Gregorius p. 10, so scheint es mir ganz unmöglich, daß irgend ein Kirchenvater von einer Secte, die gottähnliche Wesen in irgend einem Sinn, der sie noch εἴδ[ωλα] zu nennen erlaubte, anerkannte, so gesprochen, daß er von ihr gesagt hätte, was sie von den Christen unterscheide, sey, daß sie zwar den höchsten Gott aber nicht als Vater anerkennen; denn dieß würden wir kaum von den Muhammedanern, die sich noch durch ganz andre Dinge von den Christen unterscheiden, wir würden es aber unbedenklich von den Juden oder den modernen Theisten sagen. Diese Stelle erhebt die Hyps˖[istarier] in meinen Augen zu dem Range reiner Theisten. Ich will damit nicht die Möglichkeit ausschließen, daß sie in bloß speculativer Beziehung das Daseyn untergeordneter gottähnlicher Wesen nicht läugneten und dadurch den Massalianern ähnlich wurden (mehr als das bloße Läugnen, oder gleichgültige Zulassen drückt das von letzteren gebrauchte: θεοῦς μὲν (sc. εἶναι) λέγοντες nicht aus); nämlich beyde, als eine bloße αἵρεσις des Heydenthums hatten nicht das Interesse, welches die Christen hatten, gegen Gott vergleichbare Wesen in jedem Sinn zu kämpfen. Wie ganz bloß speculativ – ohne alle religiöse Bedeutung aber dieß bey ihnen war, erhellt daraus, daß Gregor, wo er das Heydnische in ihnen nachweisen will, nichts andres als das Feuer und die Lichter anzuführen weiß, die sie auch wohl dem ὕψιστος als Vater der Lichter anzünden konnten. Eben dieß bloß Speculative scheint nicht zu erlauben, sie so fernher, von jenem uralten, sehr reellen und sehr practischen, Sabäismus abzuleiten, wozu auch die Hauptstelle: ἐκ δυοῖν – – – συνετέθη keine Veranlassung gibt. Das einzige zu Gunsten jener entfernten Herleitung wäre die Stelle des Kyrillos p. 68 aber ich würde großes Bedenken tragen, derselben eine historische Geltung zuzugestehn. Denn da er grade die Hauptsache, die von den ältesten θεοσεβεῖς, Jethro, Melchisedek u.s.w. angeführt wird, daß sie – τάχα που – auch andre Götter – nämlich die vornehmsten Schöpfungswerke, Erde, Himmel, Sonne, Mond zu ihm (Gott) gerechnet – von den späteren θεοσεβεῖς nicht wiederholt sondern nur das Allgemeine wieder sagt, was Gregor schon von den Hypsistariern gesagt hatte, daß sie ein Mittleres zwischen Judenthum und Hellenenthum (eigentlichem Heydenthum) sey’n, so erhellt daraus bloß, daß Kyrillos, in der Verlegenheit, sie nicht gradezu als Heyden und doch auch nicht als Juden oder Christen ansprechen zu können, den Ausweg ergreift, sie mit jenem Heydenthum vor dem eigentlichen Heydenthum zu vergleichen, um ihnen auf diese Art doch einen Platz unter den Heyden geben zu können. Diese Combination des Kyrillos kann aber uns keine Nothwendigkeit auferlegen, die θεοσεβεῖς grade durch eine wirkliche Abstammung von jener uralterthümlichen Religionsweise zu erklären, und noch viel weniger, diesen Schluß auf die Hypsistarier auszudehnen, die wir alle Ursache haben für reine Theisten zu halten. Wie sie aber übrigens eigentlich zu erklären sey’n, und wie ich mir die Entstehung dieser unter sich analogen Secten, der Hypsistarier, der Massalianer und der θεοσεβεῖς denke, ist theils noch zu unreif, theils würde es hier zu weit führen. Ich erschrecke ohne dieß, indem ich gewahr werde, wie viel ich Ihrer Geduld schon zugemuthet. Sehen Sie diese Weitläuftigkeit wenigstens als einen Beweis an, wie wichtig mir alles ist, was von Ihnen kommt, und als eine Art meinen Dank dafür auszudrücken, daß Sie mich auf diese interessanten Secten aufmerksam gemacht haben, die sich an einer Stelle meiner demnächst erscheinenden Schrift, wo ich bereits der Coelicolarum des Cod˖[ex] Theod˖[osianus] erwähnt hatte, wofern es die Zeit erlaubt, noch wohl werden anschließen lassen.

Bey meiner Zurückkunft fand ich den 2ten Th˖[eil] Ihrer Kirchengeschichte; diese wird meine erste Lectüre sein, so wie ich Zeit gewinne, und ich freue mich zum voraus besonders der weitern Entwicklung Ihrer Ansicht von den Gnostikern und Ihrer Einladung, Ihnen darüber zu schreiben. Ich lebe gegenwärtig leider in großen äußern und innern Beunruhigungen. Bitten Sie für mich, daß sie bald von mir genommen und ich dadurch tüchtig werde für die Vollendung der Arbeit, die wenigstens meiner Intention nach nur Ein Ziel hat – den Herrn.

Leben Sie recht wohl, theurester Herr und Freund, wenn Sie dieß meiner Empfindung für Sie entsprechende Wort von mir annehmen wollen. Mit inniger Verehrung und herzlicher Liebe
Der Ihrige

Schelling.

N.S.

Die beyden Schriften, deren Sie mir zulieb offenbar sich selbst auf einige Zeit beraubt haben, werde ich mit der ersten Gelegenheit zurücksenden.