Herrn
MedicinalRath Dr. Schelling
in
frey.
München .
Lieber Karl!
Du wirst Dich wundern, noch so spät einen Brief von mir aus München zu erhalten. Sechs Tage vor dem zu unsrer Abreise bestimmten Tage wurde unser guter Paul, der bald nach unsrer Rückkehr heftige Anfälle von Keuchhusten hatte und seit dieser Zeit, vielleicht weil dieser Husten niemals ganz zum Ausbruch kam, kränkelte, plötzlich von einem sehr heftigen Fieber befallen, das die Ärzte sogleich entzündungswidrig, sogar – was gewiß unnöthig war aus zu großer Ängstlichkeit und weil Grossi Blut, das aus der Nase gekommen, für Lungenblut hielt mit zweymaliger Aderläße behandelten, bis Harz, den wir dazu riefen, den Hauptsitz des Übels im Unterleib suchte, und mit starken Ausleerungen (wozu Calomel und Jalappe gebraucht wurde) das Fieber zu heben suchte, das auch öfters remittirte, eben noch heute (am 17ten Tag) fortdauert und überhaupt einen tückischen Charakter verräth, aus dem die Ärzte selbst nicht recht klug werden können, indem sie es bald Synochus, bald Schleimfieber, bald Synochus pituitosus nennen. Das Kind ist natürlich sehr erschöpft und ich kann meine Besorgnisse nicht bergen. Unsern Zustand kannst Du Dir denken, ob und wie bald wir abreisen können, läßt sich nicht bestimmen, doch daran denken wir nicht, wenn uns nur das liebe Kind erhalten wird! Dem Himmel sey Dank, daß wenigstens wir beyden und die andern Kinder so wohl sind. Wir können zwar nicht hoffen, daß Du uns in die Ferne mit Rath beystehen könnest, doch solltest Du irgend etwas anzugeben vermögen, so bitte ich darum. Ich bemerke, daß das Kind über nichts klagt, keinerley Schmerzen weder im Kopf, noch auf der Brust, noch im Unterleib hat, auch bis jetzt immer bey sich geblieben ist. Doppelt freuen wir uns unter diesen Umständen, unser gutes Clärchen so wohl versorgt und so gesund zu wissen, wie Kopp’s uns versichert haben. Leid ist mir aber, daß Du auch gegen Kopp die Meynung geäußert, das hiesige Clima sey mir nicht schädlich, da er natürlich nicht ermangelt, dieß hier zu sagen, da nicht jeder gleich daran denkt, daß Du ja das hiesige Clima nicht kennst und auch meinen Gesundheitszustand vielleicht weniger zu beurtheilen vermagst, als der Arzt, der mich hier seit Jahren behandelt hat. Gönne mir doch dieses Asyl, wo ich Gesundheit und Heiterkeit, Schulen für meine Kinder und vieles andre zu finden hoffe, das hier fehlt – um so mehr, als mir durch diese Veränderung keine Verbindlichkeit zu irgend einer Leistung auferlegt ist und im Fall der völligsten Täuschung, den Du jedoch kein Recht hast zu erwarten, mir stets die Rückkehr offen bleibt, also nichts verloren ist.
Wir danken Dir und Deiner lieben Frau für die überschickten Trauben, in so unergiebigen Jahren solltest Du Dich in keine Kosten damit setzen.
Leb’ recht wohl, grüße Deine liebe Frau auf’s herzlichste von uns und küsse statt unsrer unser liebes Clärchen.
Dein
tr˖[euer] Br˖[uder]
Fr.
Willst Du mir bald schreiben, so schreibe nur hieher.