Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Sr. Wohlgebohren

dem Herrn Medizinal-Rath

Dr. Schelling

in

Stuttgardt.

frey Gränze

Liebster Bruder!

Verzeihe, daß ich mich noch einmal einer fremden Hand bediene Dir zu schreiben, es geschieht nur, weil mir dieß schneller von statten geht und ich die Zeit jetzt sehr zu Rath halten muß. Nachdem ich völlig wieder bey Kräften bin, habe ich theils meine gewöhnlichen Arbeiten wieder vorgenommen, theils manches Versäumte einzubringen gesucht, so daß ich genug zu thun habe. Dieß ist auch die einzige Ursache, warum ich Dir über den bestimmten Zeitpunkt meiner Reise noch nichts gemeldet habe. Ich hätte es aber doch thun sollen, und Dir wenigstens schreiben, daß ich nichts bestimmen könne. Ich bedaure besonders, Herrn Professor Kopp keinen Brief an Dich mitgegeben zu haben. Ich zweifle zwar nicht, daß Du ihn wohl aufgenommen haben wirst, indem es ihm, seiner Unscheinbarkeit unerachtet, doch gleich anzusehen ist, daß er ein tüchtiger und sehr freundschaftlicher Mann ist, allein seine Abreise überraschte mich und vielleicht hat er Dir meine Ankunft zu frühe angekündiget, indem er viel Werth darauf zu setzen schien, daß ich zu seiner Hochzeit komme, und ich ihm nicht allzu bestimmt sagen wollte, daß dieses unmöglich sey. Wenn ich alles wohl berechne was mir noch zu thun obliegt, so werde ich kaum vor von hier abkommen, und will froh seyn, wenn ich nur bey Dir bin. Indessen werde ich Dich auf jeden Fall noch genauer benachrichtigen, und wo möglich selbst den Tag bestimmen, an dem ich in Stuttgardt einzutreffen gedenke.

Ich danke Dir daß Du mich wegen Herrn Prof. Siegwart noch besonders benachrichtigen wolltest. Er hatte auch einen sehr freundschaftlichen Empfehlungsbrief von Georgii, der mich ersuchte ihn seines Dissensus ungeachtet freundlich aufzunehmen, da er hauptsächlich hieherkomme, um mich selbst zu sprechen und über manches Aufschluß zu erhalten. Ich habe es auch an der guten Aufnahme nicht fehlen lassen, aber sehr schwer gefunden, mit diesen übrigens gewiß recht braven Manne in ein ordentliches Gespräch zu kommen. Ist es Mangel an geistiger Lebhaftigkeit, oder hält ihn irgend etwas anderes zurück, ich muß die Kosten der Unterredung fast ganz allein machen. Mir scheint die Demarkations-Linie, wie weit er in der Philosophie gehen dürfe, ist ihm genau vorgeschrieben, und es scheint nicht sowohl an seiner Neigung und seinem Begreifungsvermögen zu liegen, wenn er innerhalb derselben bleibt, als an dem φόβῳ τῶν Ιουδαίων. Soviel ich ihm abmerke, hat sich die orthotoxe würtembergische Philosophie nun so ziemlich auf das allergeringste zurückgezogen, was sie noch etwa zu behaupten hofft; nämlich auf den Gegensatz von Geist und Materie, und daß der erste die letzte absolut bestimme, wo aber die Materie herkomme, wissen sie nicht, und selbst daß sie der Geist, oder Gott, hervorbringe getrauen sie sich nicht mehr philosophisch zu behaupten.

Die Bekanntschaft des Herrn Med˖[icinal]R[a]th˖[s] Walz war mir sehr angenehm, er scheint ein kluger und gescheider Mann zu seyn. Wenn es möglich ist, werde ich ihn noch wieder besuchen, wo nicht, so bist Du vielleicht so gütig mich damit zu entschuldigen, daß ich noch immer nur in den Mittagstunden (bey den kalten Nordostwinden) auszugehen wage, und von meiner Krankheit her, noch so viele andere Besuche schuldig bin.

Ich werde nun mein mögliches thun, bald von hier loszukommen. Viele finden mich jetzt besser aussehen, als vor meiner Krankheit, nur fürchte ich, Du werdest mich, wenn es noch lange ansteht, als völligen Kahlkopf wieder sehen, denn meine Haare gehen in Masse aus. Der Schmerz in der Seite schien während der ganz warmen Tage etwas weichen zu wollen, die Kälte hat ihn zurückgeführt und ich fürchte, mehr und mehr, daß er mit meinem früheren allgemeinen Unterleibs-Uebel zusammen hänge, doch Du wirst dieß besser sehen. – – – Herzlichen Dank für die vorläufigen Nachrichten wegen Herzog Christophs Bildnisses, die weiteren wünsche ich vor meiner Abreise wo möglich noch zu erhalten.

Erst jetzt läßt mich mein besseres Befinden und die günstigere Witterung wirklich an die nahe Freude glauben Dich wieder zusehen, wie groß diese Freude ist, will ich nicht versuchen auszudrücken. Du kannst es Dir selbst denken, wieviel es für mich ist nach so langer Zeit und nach allem was sich im Allgemeinen und in unserer Familie inzwischen ereignet, wieder einige Wochen in Deinem Umgang zu leben. Nur wünsche ich, daß die Beschwerde für Dich und Deine liebe Frau nicht zu groß werde.

Herzliche Grüsse an diese und an unsere Schwester
Dein
tr˖[euer] Br˖[uder]

Fr.