Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Sr. Wohlgebohren

Herrn Medizinalrath Dr. Schelling

in

Stuttgardt.

frey.

Liebster Carl!

Ich glaube Dir heute wieder Nachricht geben zu müssen vom glücklichen Fortgang meiner Genesung. Ich freue mich, daß Du nach Deinen letzten Brief vollkommen beruhiget bist. Könntest Du mir nur etwas rathen, um den letzten Reitz von der Brust hinwegzubringen, der mir noch immer ein gewisses Gefühl von Krankheit erhält. Grossi hat es seit mehreren Tagen mit Pulvern aus Ipecac˖[uanha] und Rabarbar versucht, wovon jene wahrscheinlich den Tonus herstellen, diese eine Ableitung nach dem Unterleib machen soll. Etwas gebessert hat sich die Sache freylich dadurch, aber die Stelle bleibt doch, die mich meiner Abhängigkeit und Sterblichkeit erinnert. Ich mußte lächeln, daß Du mich vor Wein und Weinspeisen warnst; bis jetzt begnüge ich mich gern mit Hühnerbrühe und habe denn doch bis heute, am , das Bett noch nicht verlassen. Du spielst mir ein recht schönes Bild vor, von einem Aufenthalt bey Dir und in Stuttgardt, gewiß würde er meine Erholung sehr befördern, und mir in jedem Betracht wohlthätig seyn; aber noch ist es weit bis dahin, wo so etwas möglich wäre. Daß wir aber gar allesammt mit Sack und Pack kommen, daran ist noch weniger zu denken. Noch stecken wir zu tief.

Seit hat sich ein neuer Unfall zu den vorigen gesellt. Unsere Carolina zeigte sich unversehens vom Scharlach-Ausschlage bedeckt, ehe wir ein Zeichen von Krankheit an ihr wahrgenommen hatten. Die Krankheit ist sehr gelinde, wie sie nach der Versicherung der Aerzte in diesem Augenblicke überhaupt hier ist, indem sie meist eine bloß chataralische Wendung nimmt; indeß wirft dieser Zufall meine Frau aufs Neue zurück, welche nun wieder nicht dazu gelangen kann, sich die nöthige Ruhe und Pflege zu geben. Auch mußten die übrigen Kinder abgesondert werden, ohne doch wahrscheinlich der Ansteckung entgehen zu können, den Fritz ausgenommen, mit dem es Gott ganz besonders gut gemeint hat, indem ihn seine gute Pathe, die Frau von Köhler, gleich vom Anfang ganz zu sich nahm. Wir gehen also noch einer ziemlich langen Litaney von häuslichen Ungemach entgegen. Schreibe mir doch ob wir Aelteren Präcautionen zu nehmen haben, um nicht etwa ebenfalls angesteckt zu werden, oder ob dieses überhaupt von Kindern auf Erwachsene nicht übergeht. Unsere häusliche Einrichtung erlaubt es nicht anders, als das kranke Kind gleich neben dem Zimmer, in dem ich noch bey Tag und Nacht mich aufhalte bey geöffneter Thüre schlafen zu lassen. Weder meine Frau noch ich haben in unserm Leben Scharlachfieber gehabt. Ein Glück ist, daß die Krankheit so gelinde ist, und das Kind kaum daran leidet.

Lebe nun recht wohl, grüsse unsere gute Schwester und Deine liebe Frau herzlichst von uns, und schreibe mir bald wieder
Deinen
tr˖[euen] Br˖[uder]

Fr.