Schelling

Schelling Nachlass-Edition


An Herrn Director

Schelling

in

München

fr˖[ei] G[ren]tze

Lieber Bruder!

Schon lange gehe ich damit um, Dir wieder zu schreiben, aber täglich gab es ein Hinderniß. Mich hat sehr gefreut, aus Deinem lezten Brief zu ersehen, daß Du Dich wohl befindest, und daß an Deinem frühern langen Stillschweigen nur vieles Arbeiten Schuld war. Wie sehr soll mich’s freuen, bald etwas Gedrucktes von Dir zu lesen zu bekommen! Cotta sagte mir neulich, daß Du ihm geschrieben habest, Du wolltest jezt mit dem Druck anfangen laßen, da wird also das Buch auf die meße noch fertig werden. ist der Vater mit der Mutter hier zum Synodus angekommen. Ich hoffe jezt auch gewiß, Deine Ahnung werde erfüllt werden, daß der Vater noch einige Jahre haben wird, wenigstens scheint er sich fast ganz wieder erhohlt zu haben, und die Aufheiterung, die er hier hat, wird nicht wenig beitragen, ihn noch mehr herzustellen. Seine Sehkraft ist wieder um Vieles beßer. Sehr viel mag zur Schwächung seiner Augen das Abschneiden seiner Haare, das Du in Ludwigsb˖[urg] gleich getadelt hast, beigetragen haben, denn von der Zeit an, sagt er, habe er eine Abnahme des Sehvermögens bemerkt. Wenn Du jezt nur auch hier wärest, wie Vieles würde dieses beitragen, den Vater aufzuheitern! Der Synodus wird übrigens dieses Jahr, wie man sagt, nur 4–5 Wochen dauren. Vor einigen ist die O˖[ber]Just˖[iz]Räthin Georgii gestorben. Ihr Mann ist untröstlich darüber. Sie hat fast seit Deiner kranck gelegen. Die letzten hat mich Georgii auch noch beigezogen, und ich kam deßwegen täglich ins Haus. Bei dieser Gelegenheit habe ich eine wahre Verehrung für Georgiis Herz und Charakter bekommen. Wenn Du einmal an ihn schreibst, so laß doch auch Worte des Trostes für ihn einfließen, er hält so gar Vieles auf Dich.

Diese Tage bekam ich auch einen Brief von Marcus, worinn er mich zur Mitarbeitung an seinem neuen Journal einladet, und zugleich anfragt, ob Du, Walther, er und ich nicht gemeinsch[a]ftlich die Jahrbücher wieder in Bewegung setzen wollten? Was mich betrift, so kann ich gar nicht absehen, wie ich zu einer literarischen Ausarbeitung so bald kommen sollte, da meine praktischen Geschäfte sich täglich mehren. Ich will dem Marcus nächste Tage antworten.

Diesen Nachmittag hat der Vater den CivilVerdienstorden nebst einem sehr gnädigen Schreiben des Königs zugeschickt erhalten. Diesen Vormittag war nämlich Civil- Verdienst-Ordens-Kapitel, und da wurde er vom Konsistorium dem König sehr anbefohlen. Der Vater mußte zwar in einem Memorial darum bitten, er sagte aber darinn, daß er es nur auf besondere Aufforderung des Konsistoriums thue, wie dieß auch der Fall war. Das Konsistor˖[ium] zählte ihm nämlich in dem Anmahnungs Befehl, sich zu melden, seine Verdienste in specie auf, und animirte ihn auf diese Art dazu.

Die Eltern laßen Dich 1000mal grüßen. Die Mutter läßt Dich bitten, wenn Du könntest, jezt ein thema examinale zu schicken; wäre es Dir aber nur im Mindesten beschwerlich so unterlaße es, indem es sonst der Vater wohl dießmal einem der Profess˖[oren] überlaßen kann, sintemal er hier im Synodus während des Examens ist.

Nun leb wohl und gesund, und gieb bald gute Nachrichten
Dein

K

N.S.

Dieser Brief war schon zum Abschicken bereit, als ich heute den Deinigen erhielt. Verzeih’ mir nur, daß Du mir mit einem Brief wieder zuvorkommen mußtest, es geschah aber nicht aus Lieblosigkeit, sondern wirklich aus Zeitmangel. Der Vater hat sich sehr gefreut über das schöne Thema, das Du ihm geschickt. Die Mutter wird Dir diese Tage schreiben. Die Beate läßt Dich fragen, ob Du den Brief, den sie vor geraumer Zeit einmal schrieb, nicht erhalten habest. Du thust in Deinen Briefen der Großischen Familie nie Erwähnung, und es scheint ihnen weh zu thun. Laß doch das nächstemal in Deinen Brief etwas einfließen. Der Vater muß die Hälfte der unter ihm stehenden Speciale visitiren.

Nimm doch Deine Gesundheit recht in Acht und mache bei dem schönen Frühlingswetter täglich Bewegung ins Freie. – Gestern ist der Weinschenck Mühlbach auf dem Graben wohnhaft auf 5 Monate nach Gotteszell ins Zuchthaus gebracht worden, weil er den Herrn von Grempp den Du auch kennst, und welcher als Gesandschaftssekretär nach Petersburg kommt, auf seinem Zimmer überfiel, und heftig schlug.

Nun leb recht wohl, lieber Bruder!