Schelling

Schelling Nachlass-Edition


À Madame

Madame Gotter

née Stieler

à

Gotha

fr˖[ey] Coburg

Dießmal, liebste Mutter, kann ich Ihnen die lezte Beruhigung geben; unsre gute Pauline ist wieder völlig wie man sagt auf den Beinen; zweymal sind wir bey den heitern Tagen ausgefahren; sie bewegt sich frey in ihren Zimmern umher, ißt und trinkt wieder wie ein andrer Mensch. Ich bewundre die Regelmäßigkeit ihrer Natur, indem sie fast am lezten Tag der 8 Wochen plözlich wieder zu Kräften kam. Sie fängt jetzt an, auf ihrem eignen Zimmer zu wohnen und hat genug zu thun, alles in Ordnung zu bringen.

Wir haben heute (Mittwochs) keine Briefe von Ihnen erhalten; desto gewisser hoffe ich morgen welche zu erhalten. Sie sind es uns, liebe Mutter, jetzt gewissermaßen doppelt schuldig, so oft wie möglich Nachricht zu geben. Durch die vielen traurigen Fälle ist diese schwermüthig gestimmte Imagination geneigt, »sich bey den zufälligsten Sachen gleich etwas Übles zu denken.

Ich war diesen morgen bey den feyerlichen Exequien für Köhler. Es war herzdurchdringend diese Trauer-Ceremonien vor dem nämlichen Hochaltar vorgehen zu sehn, vor welchem er – es sind nur wenige Tage Unterschied – grade getraut worden. Die bedaurenswerthe Frau hat nun sein Testament erhalten, wodurch sie, mit Ausnahme von 700, seinem Vater legirten, Gulden, zu seiner Universal Erbin eingesetzt ist, aber für Ihr Herz ist nichts darinn. Sie setzt nun Ihre Hoffnung auf eine Schatulle, die im Testament besonders erwähnt, aber wahrscheinlich der Unsicherheit wegen noch nicht überschickt ist, worinn sie die letzten Worte ihres Mannes vermuthet. Es ist um so eher zu glauben, als er bey voller Besinnung bis an sein Ende geblieben und wie es scheint an einem langsamen Nervenverzehrenden Fieber gestorben ist. Von der Güte unsres Königs läßt sich erwarten, daß sie wenigstens durch eine bedeutendere Pension unterstützt wird – von ihrer Familie unabhängig gemacht wird.

Pauline macht der Mutter und allen lieben Verwandten die zärtlichsten Grüße und läßt Julchen bitten, Schlegels Gedichte neu und ### zu lassen, und Mme. Ukert zu übergeben damit diese sie als Weihnachtsgeschenk von Paulinen an Sylvie schicke oder gebe. – Leben Sie wohl, beste Mutter; der Himmel erhalte Sie und gebe Ihnen Freude! Grüßen Sie Julchen, Cäcilie und auch die andern Lieben recht sehr von mir.
Ihr
treuester Sohn

S.