Schelling

Schelling Nachlass-Edition


A Madame

Madame Gotter

née Stieler

à

Gotha.

fr˖[ey] Coburg

Liebste Mutter!

Es ist eine auch für mich sehr schmerzliche Nachricht, die wir heute erhalten haben. Pauline erzählte mir so vieles, das mir von dem seltnen Werth der uns nun entzogenen Frau große Begriffe gab und mich oft bedauern ließ, sie so kurze Zeit gesprochen zu haben und auch da nicht so wie ich wünschte. hat für uns alle so viele Sterbefälle von Anfang an gebracht, daß ich recht froh seyn will, wenn es zu Ende ist. Paulinen konnte ich Ihren Brief an mich nur mit Mühe entziehen, weil sie im Zimmer war und der Briefbringer, der ihre Freude über Briefe von Gotha kennt, gleich unter der Thüre rief: Ein Brief aus Gotha! – Sie machte sich aber auch gleich aus dem Brief an sie die Rechnung, die Tante zu verlieren, worüber sie sehr betrübt ist. Daß sie bereits nicht mehr unter den Lebenden ist, habe ich ihr inzwischen noch nicht gesagt.

Es geht mit Paulinens Erholung langsam, doch immer voran. Es ist ein eignes Schicksal, wie das, was ihr Freude zu machen bestimmt war, durch die zu große Lebhaftigkeit ihr meist wieder schädlich wird. Die angekommnen Sachen, das Auspacken derselben, ob sich gleich versteht, daß sie nicht selbst thätig dabey war, vielleicht etwas mehr Bewegung, als gewöhnlich, die sie sich gab, um manches zu sehen und wiederzusehen, war vielleicht die Ursache, daß die weibliche Periode schon wieder bey ihr eintrat, nach mehrmaligem Wiederverschwinden die letzten Tage sehr stark sich zeigte. Dieser neue nicht unbedeutende Blutverlust hat sie freylich wieder geschwächt. Heute befindet sie sich wieder besser; ihre Heiterkeit und natürliches Aussehn ist wiederhergestellt, und die Periode scheint im Rückzug. Es ist aber vielleicht jene Lebhaftigkeit für dießmal nicht daran schuld, sondern nur die ungemeine Regelmäßigkeit ihrer Natur. Es waren nämlich grade und gestern war auch der schlimmste Tag. Heute bin ich vollkommen beruhigt, und war auch in dieser ganzen Zeit nie eigentlich unruhig. Aber diese Regelmäßigkeit ist mir beynahe ängstlicher als mir das Gegentheil seyn würde. Es ist nur zu sehr zu fürchten, daß ihre einmal gewohnte Natur auch in der Folge wieder den nämlichen Gang mache. Was meynt denn ihr Onkel, Herr Hofmedikus Stieler von der ganzen Sache?

Die gute Köhler ist über alle Begriffe gefaßt und zeigt sich auch in dem großen Schmerz als die herrliche, stillgläubige Seele, wofür man sie immer achten mußte; die Familie ist auf einige Tage durch die Umstände auch besser geworden; aber es wird sich bald alles wiederherstellen und es ist traurig zu denken, daß die gute Frau, grade da wo sie den größten Trost finden sollte, in der Folge wahrscheinlich am wenigsten findet.

Mlle. Benda ist noch hier und spielt mit vielem Beyfall.

Pauline grüßt auf’s zärtlichste und bittet ihr mit nächster Post ein gutes langes Erwel-Muster zu schicken. Auch läßt sie Julchen fragen, ob sie nicht in ihrem Papierkasten ein Muster zu ’nem Häubchen gefunden, von grauem Papier ohngefähr wie ein Halstuch geschnitten; darum bittet sie auch. (Wörtlich diktirt)

Leben Sie wohl, liebste, beste Mutter. Trösten Sie sich auch; es müssen jetzt so viele Menschen sich trösten. Der Himmel gebe bald bessere Zeiten. Wir haben hier bereits eine Kälte, wie sonst im Januar
Ihr
treugehors˖[amster] Sohn

S.