Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Liebster Bruder!

Schon seit mehreren Wochen gieng ich immer damit um, Dir zu schreiben, verschob es aber wieder, um Dir zugleich auch Nachrichten von den beiden Knaben in Nürtingen, welche wir in der Erndte-Vakanz bei uns erwarteten, geben zu können. Sie sind heute bereits wieder zurückgereist, nachdem sie gestern bei uns eingetroffen waren. Ihr Befinden ist gantz gut, sie sind wie immer munter und lebhaft gewesen, und haben, so oft es möglich war, fast täglich im Neckar unter m˖[einer] oder anderer Aufsicht gebadet, übrigens ihre Aufgaben für Herrn Rector und auch einige, welche ich Ihnen gab, gearbeitet, im Übrigen aber sich hauptsächlich in einem Garten, welchen wir für diesen Sommer gemiethet haben, herumgetümmelt. August war, während der Zeit, daß sie hier waren, auch auf einige Tage bei uns. Er hatte die Absicht, sie mit nach Neuenstadt zu nehmen, wir haben es aber wegen der kurtzen Zeit, welche von der Vakanz noch übrig war, nicht zugegeben, und er wünschte nun, daß sie in der nächsten Herbstvakanz zu ihm kämen, und hat gesagt, er wolle sie alsdann in Besigheim abhohlen. Was dieses betrift, so stelle ich es ganz Dir anheim, ob Du es ihnen erlauben willst, oder nicht, auf jeden Fall sind, und bleiben sie uns angenehme werthe Gäste, so oft sie zu uns kommen werden. Das Angenehmste aber wäre, wenn Du und D˖[eine] liebe Frau uns mit einem Besuch auf jene Zeit erfreuen würdet. Es sind nun , daß wir uns nicht gesehen, und auch wenig genug von einander gehört haben, und da wäre es doch auch wieder gut, wenn wir uns wiedersehen könnten. Klara ist gantz gesund und blühend aussehend. Dieses hatte sie einmal einen ziemlich heftigen FieberAnfall, ist auch vor demselben bedeutend abgemagert, matt und verdrüßlich und übel aussehend gewesen, was ich als Folge ihres schnellen Wachsens so wie des noch im Gang gewesenen Zahnwechsels angesehen habe. Auf einmal aber bekam sie heftiges Fieber ohne irgend einen Schmertzen oder Lokalleiden zu klagen, schlummerte fast beständig, und war gegen Alles gleichgültig, bis sie auf einmal am dritten Tage einen Schmertzen im Halse klagte, und sich bei der Untersuchung alsdann zeigte, daß ein Geschwür im Halse sich ansetze, was mir zu großem Trost gereichte. In wenigen Tage reifte hierauf das Geschwür, brach auf, und von dieser Zeit an ist sie nun vollkommen munter und wohl, und besser aussehend, als jemals. Ich habe sie desswegen auch in diesem heissen Sommer außer der Lehrstunde, welche sie bei einem gantz vorzüglichen Lehrer hat, und den Aufgaben, welche sie für diesen zu machen hat, mit weiterem Lernen nicht besonders anstrengen laßen wollen. Dagegen wird sie, da sie das achte Jahr zurückgelegt hat, nächsten doch etwas mehr angelegt werden müßen. Sie rechnet nun die 5 Species gantz ordentlich, im Schreiben macht sie verhältnißmäßig die geringste Fortschritte, dagegen liest sie gantz gut, hat besonders auch ein sehr glückliches Gedächtniß, und ist überhaupt sehr aufgeweckt. Zum Lesen hat sie eine überaus große Neigung, und oft würde sie gantze Tage damit zubringen, wenn man es ihr gestattete, und auch selbst zum Essen bringt sie die Bücher mit, und würde fortlesen. Übrigens ist sie noch gantz Kind, und wenn das Lesen nicht geht, so begnügt sie sich mit den Puppen pp.

Unsere Kleine gedeiht bis jezt gantz gut. Sie hat übrigens in ihrem gantzen Wesen außerordentlich viele Ähnlichkeit mit unserem Karl, was uns einerseits viele Freude, aber auch viele Besorgniße macht. Sie hat jezt 4 Zähne, und wird nächstens wieder einige bekommen, ist aber dabei immer vergnügt und heiter, und hat vor unserem Karl das voraus, daß sie gute Nächte hat, was bei diesem nie der Fall war. ist das Päckchen mit Kleidungsstücken angekommen, das die liebe Schwägerin den beiden Knaben zugeschickt hat. Da gerade der Nürtinger Bote hier war, so haben sie es noch am nämlichen Tage erhalten. Daß unser lezter Onkel in Urach gestorben ist, wirst Du von den Knaben gehört haben. Von eben diesen vernahmen wir, daß Ihr ebenfalls durch den Deiner lieben Frau Schwiegermutter in Trauer versezt worden. Wir nahmen recht herzlichen Antheil daran, und würden dieses schon früher schriftlich bezeugt haben, wenn ich nicht zufälligerweiße mit Geschäften sehr überhäuft und bei m˖[einer] Frau nicht derselbe Fall gewesen wäre. Übrigens trägt mir m˖[eine] Frau auf, auch in ihrem Namen euch zu bitten, im Laufe dieses Jahres uns noch zu besuchen, und sie zu entschuldigen, daß sie auch heute der lieben Schwägerin nicht antwortet, sie muß aber seit einigen Tagen das Kind allein hüten, und ist damit immer beschäftigt.

Nun lebt recht wohl.
Dein tr˖[euer] Br˖[uder]

Karl.

Klara ist über das schöne Halstuch sehr vergnügt, und dankt ihrer lieben Mamma recht sehr dafür.