Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Al Signore

S[i]g[no]re Martino Wagner

Membro della Reale Academia di Baviera pp.

Roma

al cafe greco

Fr[an]co.

Liebster Freund!

Es scheint, daß auch jetzt noch die Briefe nach Rom nicht zum sichersten gehen. Ich habe Ihnen für die angefangene Reisebeschreibung nach Griechenland so schön gedankt und Sie um die Fortsetzung gebeten, daß ich wenigstens auf eine Antwort hoffte. Es sey nun wie es wolle, so schreibe ich Ihnen dießmal, um für einen andern Genuß zu danken, den Sie mir bereitet haben. Seine Königliche Hoheit der Kronprinz haben die Gnade gehabt, mir Ihre Beschreibung der äginischen Statuen mitzutheilen. Wahrscheinlich hatten Sie den Kronprinzen darum angegangen. Welche Erscheinung, welche Wunder! England mag den Raub von Athen behalten, wir werden die Werke besitzen, die allein den Schlüssel geben zu Erklärung jener sonst unbegriffenen Vortrefflichkeit. Diese treue Nachahmung der schönen Natur, gegen welche auch die treueste, die wir sonst kannten, nur auf der Oberfläche zu spielen scheint, war also der Weg zu der Kunst des Phidias! – Was die verwundersame Einförmigkeit und Gleichheit der Köpfe und der Bildung wie des Ausdrucks in den Gesichtern betrifft, so haben Sie, glaube ich, im Allgemeinen das Wahre getroffen. Nur kann ich mich davon nicht überzeugen, daß die Scheu, einen festen heiligen Typus zu verletzen, diese Einförmigkeit hervorbrachte. Kann da wohl von Typus die Rede seyn, wo im Grunde gar kein Charakter herrscht? Wenn die Minerva oder jede andre Gottheit, ja wenn nur überhaupt alle Gottheiten sich auf solche Art glichen; so wäre das ein Typus; wenn aber alle, göttliche und menschliche, männliche und weibliche Bildungen, Sieger und Besiegte, wie Sie sagen, sich was die Köpfe betrifft, wie Ein Ey dem andern gleichen – diesen gänzlichen Mangel von Abwechselung in den Bildungen nicht Einer und derselben, sondern ganz verschiedner Persönlichkeiten weiß ich mir nicht anders zu erklären, als aus einem absichtlich, auch in Ansehung der verschiednen Körpertheile stufenmäßigen Aufsteigen vom Niederern zum Höhern. Es ist so viel gesetzmäßiges in der ganzen Entwicklung der griechischen Kunst, daß es mir als ganz natürlich erscheint, wenn sie auch in dieser Beziehung mit Vorbedacht und Bewußtseyn den Weg von unten auf genommen, wenn sie, zufrieden, die niederen Theile auf’s treueste zu bilden, in Ansehung des edelsten so lange, bis sie auch dessen Meister geworden, lieber mit einer angenommenen (conventionellen), allgemeinen Form als einer halbkünstlerischen Ausführung sich begnügte, und Kopf und Gesicht lieber ruhen ließ als es weniger vortrefflich darstellte, wie sie vielleicht aus demselben Grund früher sich versagt hatte, die Beine zu trennen und in Bewegung darzustellen. Eine andre als bloß angenommene, gleichsam durch Verabredung geltende, wie nur symbolisch andeutende Form, kann ich in den Köpfen nach Ihrer Beschreibung nicht sehen. Was halten Sie davon?

Und nun noch eine Frage. Ist es der Wille Seiner Kön˖[iglichen] Hoh˖[eit] oder ist es Ihre Absicht, daß Ihre Beschreibung über kurz oder lang gedruckt werde? Dieß wäre sehr wünschenswerth, da schon so manches davon gefabelt wird und jetzt, da die Werke in Rom von Manchen gesehen werden, da doch vieles davon, obwohl unvollständig, verlautet, sich bald rüstige Federhelden finden werden, die Nachrichten davon in’s Publicum senden. Auf diesen Fall würde ich mich Ihnen zum Herausgeber anbieten und für mich außer den etwa nöthigen Veränderungen des Styls keine andere Freyheit bedingen, als einige Anmerkungen und Nutzanwendungen beyzufügen. Wären Sie damit einverstanden, so wollte ich Sie bitten, Seiner Kön˖[iglichen] Hoheit dieses auf gute Art vorzuschlagen; ich mochte es weder überhaupt, noch ohne Sie, thun. Sonst fürchte ich fällt über kurz oder lang die Sache einem unsrer hiesigen norddeutschen Magister in die Hände, von denen einer dieser Tage eine Abh˖[andlung] über die älteste KunstEpoche Griechenlands ohne allen Sinn und Kenntniß so geschrieben, daß es die Hunde nicht fressen möchten.

Endlich noch eine Frage! Kommen Sie denn diesen nicht zu uns? Wie sollte mich dieß freuen, der ich mich alle Jahre mehr sehne, Sie wieder zu sehen! In dem Fall, daß Sie kommen, bitte ich Sie um das Eine, es mir einige Monate vorher wissen zu lassen, um mich auch darnach einzurichten.

Wie steht es mit Ihren künstlerischen Arbeiten? Werden wir bald Ihr großes Gemälde sehen? Wenn Sie schreiben, so schreiben Sie mir nur recht viel von Sich und Ihrem Thun und Treiben – die Reisebeschreibung gebe ich auch noch nicht auf. Lassen Sie mich nur nicht zu lange auf Antwort warten.

Grüßen Sie auch den Fritz Gaertner recht schön von mir, wenn er noch in Rom ist, und leben Sie recht wohl. Ich bin und bleibe
Ihr
Getreuer

Schelling.