Sr. Hochwürden Herrn Professor Dr. Schelling in München, Bayern.
London, den .
Recht herzlich danke ich Dir, mein Teurer, für Dein teilnehmendes, ja wahrhaft brüderliches Schreiben, welches mir Professor Frank persönlich zustellte. Nur war es mir leid, daß ich bei seiner Ankunft in London nicht in der Stadt, sondern auf dem Lande mich befand, und daß er wenige Tage nach meiner Rückkunft London verließ, um sich nach dem Ostindischen Seminario in Hertford zu begeben, wo er allerdings die beste Gelegenheit hat, sich mit den orientalischen Sprachen bekannt zu machen. Ich versprach ihm, an einen meiner englischen Freunde zu schreiben, der Professor im obigen Seminario gewesen war, und alle dortigen Professoren kennt. Dies tat ich auch sogleich und ersuchte ihn dringend, Herrn Professor Frank den achtungswürdigsten der dortigen Professoren zu besonderer Aufmerksamkeit zu empfehlen, was er, wie ich nicht zweifeln darf, sogleich getan hat. Sollte mich meine Lage künftig in den Stand setzen, mich Deinem Freunde auf irgend eine Art nützlich zu machen, so werde ich es mit Freuden Deinetwillen tun. Denn mit Aufrichtigkeit darf ich es behaupten, daß ich seit unserer Trennung Deiner oft gedacht, an Deinem Schicksale aufrichtigen Anteil genommen, mich nach Deinem Befinden, wo ich Gelegenheit hatte, erkundigt, und Dir den Genuß innerer Zufriedenheeit und äußeren Wohlergehens gewünscht habe. Als ich vor einen Monat im Vaterlande verbrachte und durch Schorndorf und Geradstetten reiste, erkundigte ich mich besonders nach meinen Jugendfreunden Schelling und Beringer, fand aber keinen von beiden an den Orten, wo ich in verflossenen Tagen und Jahren so manchen frohen Genuß mit ihnen hatte.
Was mich betrifft, so war es ehemals mein Lieblingswunsch gewesen, auf einem stillen ländlichen Pfarrdorfe meine Tage ruhig und geräuschlos in ruhiger Erfüllung meiner Amtspflichten zu verleben. Statt dessen hat es der Weisheit und Güte Gottes gefallen, mich in eine der größten Städte der Welt hinzuführen und mich in einen Wirkungskreis zu versetzen, worin ich mit Geräuschen aller Art umgeben bin und wenige ruhige Stunden
Einen anderen mir höchst interessanten Anlaß zum Gutestun in höherer christlicher Hinsicht bietet mir der Posten des ausländischen Sekretärs der Britischen und Ausländischen Bibelgesellschaft dar, welchen ich seit mehr denn 10 Jahren begleite.
Der schöne und edle Zweck dieser Gesellschaft ist, die Heiligen Schriften alten und neuen Testamentes ohne alle Noten und Kommentarien in allen Sprachen drucken zu lassen. Diese Gesellschaft hat seit der kurzen Zeit ihrer Entstehung ausnehmende Fortschritte gemacht; an die Hauptgesellschaft, die ihren Sitz in London hat, schließen sich 400 Hilfsgesellschaften in Großbritannien und über 100 Bibelanstalten in Europa, Asien, Afrika und Amerika an. Die Gesellschaft hat beinahe ₤ 300 000 gesammelt und davon über 1 200 000 Exemplare des alten und neuen Testamentes, oder beider oder einzelner Teile, in mehr denn 50 verschiedenen Sprachen drucken zu lassen. In Serampore und Kalkutta wird die H[ei]l˖[ige] Schrift jetzt in mehr denn 20 orientalischen Sprachen entweder frisch abgedruckt oder zum ersten Male übersetzt. Unter die merkwürdigsten Werke, welche unsere Sozietät mit Geld unterstützt, gehört ein chinesisches Testament von Morrison und ein neues Testament in persischer Sprache von Martyn. Letzterer war einer der talentiertesten Männer auf der Universität in Cambridge, reiste zuerst nach Ostindien und dann Shiras in Persien, wo er seine Übersetzung mit Hilfe einiger persischer Gelehrten revidierte und sie dann dem König selbst zur Einsicht vorlegte, dessen Brief an unsere Sozietät ich Dir beischließe. Sollten Dich diese Nachrichten interessieren, so bin ich bereit, Dir noch mehrere dieser Art mitzuteilen. Gott segne Dich, mein Lieber. Er schenke Deinem denkenden und forschenden Geiste Gewißheit, Deinem Herzen Ruhe und Frieden, und setze Dich mit Deinen Talenten zum Segen für Tausende. Ich bekenne Dir freimütig, bisweilen konnte ich mich des Gedankens nicht enthalten, Du habest Dich zu sehr in die Regionen metaphysischer Spekulationen hingeschwungen, wohin wenige Dir folgen können. Ich habe auch gedacht und auch gezweifelt, habe aber nirgends Ruhe für Geist und Herz gefunden als in meiner Bibel, die ich mehr als je als Gotteswort erkenne und ehre. Du siehst, wie aufrichtig Dein alter Universitätsfreund ist, er schreibt Dir freimütig, und nichts wird ihn inniger freuen, als wenn Du ebenso freimütig ihm antwortest.
Lebe wohl. So sehr Du auch in manchen Stücken verschieden von mir denken magst, es liebt und achtet Dich Dein Freund und Bruder
Carl Steinkopf.