Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Es hat mich sehr gefreut, nach langer Zeit wieder von Dir, liebster Freund, zu hören. Um zuerst von Deinem Werk zu reden, so habe ich dieses bereits durchgelesen und mich höchlich erbaut an der durchscheinenden Tendenz, und besonders an den vielen höchst lehrreichen Einzelheiten, die es enthält. In diesen kann mir wenigstens der Geschichtsschreiber nicht zu viel thun. Die Notiz über das Nibelungenlied war mir neu; woher hat sie wohl Görres? Ich wünschte sehr, Du widmetest einmal diesem herrlichen Werk eine eigene Untersuchung. Hast Du Wilh˖[elm] Schlegels Abh˖[andlung] in seines Bruders Deutschem Museum gesehen? Sie enthält viel Schönes, aber in historischer Hinsicht genügt sie mir nicht. Des V[er]f[asser]s˖ Bestreben, Oesterreich den Hof zu machen, leuchtet zu sehr hervor. Ich getraue mir ebenso bündig und bündiger zu beweisen, daß es Baiern (von Passau aus) angehört. Der Stuttg˖[arter] Bibl˖[iothekar] Petersen rühmte sich einmal (aber schon trunken) gegen mich, den wahren Aufschluß darüber geben zu können; er hätte eine Notiz gefunden, woraus ganz unstreitig hervorgehe, daß es eine elende Mönchsarbeit sey (Urtheil, unsrer Stuttg˖[arter] Schöngeister würdig!); da er aber viel weiß, hat er doch vielleicht ein brauchbares Körnchen gefunden. Ich will Dir gewiß nicht schmeicheln, aber Deine Art in der Historie fortzuschreiten und zu untersuchen, dann das Gefundene darzulegen, zeigt mir immer mehr, daß Du dem rechten puncto gravitatis historiae Dich näherst, und daß Niemand, wie Du, uns Hoffnung gewährt, den trefflichen Joh˖[annes] Müller ersetzt zu sehen. Laß nur ja Dein größeres Geschichtswerk rascher fortschreiten; sey nicht karg mit Deinen Schätzen, theile mit, was Du von bezeichnenden, charakteristischen Einzelheiten hast, woraus ein anschauliches Bild des Lebens unserer Altvordern und ihres ganzen Wesens allein entsteht. Könnten wir nur zusammenleben! Vermöchte meine Aufmunterung etwas bey Dir, es sollte von meiner Seite nicht daran fehlen. Daß ich Dich von Jugend auf gekannt, daß Du früh mein Freund geworden und es geblieben ist, das rechne ich mit zu den günstigen Fügungen in meinem früheren Lebensgang.

Martini hat mir aufgetragen, Dir seinen wärmsten Dank zu bezeugen; ein solches Buch hat auch in seinen Augen großen Werth; ich bin überzeugt, er wird es mit der größten Genugthuung lesen.

Der Akademie werde ich es mit einem Schreiben übergeben, in welchem ich zugleich Veranlassung nehme, auf die Übersendung der Denkschriften an Dich anzutragen. Ich habe immer Herrn Schlichtegroll daran erinnert, dasselbe hat Martini gethan, aber ohne Erfolg – ob aus Läßigkeit oder (bey den jetzigen Umständen) Bedenklichkeit es für sich zu thun, (da es sonst nicht geschieht, weiß ich nicht, aber dießmal soll es gewiß durchgehen.

Deine Abh˖[andlung] über den Ursprung der Bayern hat bis jetzt von Seiten der bai˖[rischen] Gelehrten keine Reaktion erweckt. Doch muß ich bemerken, daß Pallhausen schon lange krank ist, auch fast ganz von der Gelehrsamkeit (wenigstens von der Akademie) sich zurückgezogen hat; Mannert hat einen Unfall gehabt, der für seinen Verstand sorgen ließ und ihn mit einer gänzlichen imbecillitate animi bedrohte. Wer es am dankbarsten erkennt, daß Du den Baiern ihre Urhaftigkeit vindicirt hast, ist unser trefflicher Kronprinz. – In dem neusten Band der Denkschriften) wirst Du eine große Abh˖[andlung] von Lang (V[e]rf[asser]˖ der Geschichte von Bayreuth) über die alte Territorial-Eintheilung von Baiern finden, wo jener Punct der Herkunft und die beyden widersprechenden Hypothesen, doch ohne eigentliche Entscheidung, auch berührt ist.

Da ich vermuthe, daß Du gern noch 1 Abdruck Deiner Abh˖[andlung] haben möchtest, so lege ich diesem Brief 1 Ex˖[emplar] bey. Wünschest Du noch eins, so laß’ es mich wissen.

Daß ich noch immer mit dem Honorar gegen Dich in Schuld stehe, hat seine Ursache weniger darinn, daß der 1ste Band erst jetzt fertig geworden, als in der Verlegenheit, Dir die Kleinigkeit zuzubringen, da es für den Postwagen fast zu wenig war, und ein andrer Weg, (da ich an Cotta nicht gern anweise, mir nicht zu Gebot stand, doch jetzt hoffe ich einen ausfindig zu machen, und in wenig Tagen erhältst Du auf die eine oder andere Art den kleinen Betrag. Künftig soll es desto ordentlicher zugehen.

Du siehst, ich rechne gar sehr darauf, von Dir fernere Beyträge zu erhalten. Die Recension von Max. v. Baiern Bd I.–IV. ist mir höchst erwünscht; doch hat es damit Zeit bis , weil der ungünstigen Zeitläufe wegen, mit dem 1sten Bd. ein kleiner Stillstand gemacht werden muß. Dieser Aufschub ist Dir vielleicht selbst erwünscht; desto sicherer rechne ich darauf, wenn es wieder losgeht.

Die Arbeit über Eschenmayer, die Du so gütig beurtheilst, ist an sich ganz unbedeutend. E˖[schenmayer] hatte sich in seinen Äußerungen gar sehr verfangen; ich fühlte selbst, wie die Antwort geschrieben war, daß er mir zu vielen Vortheil über sich gegeben, wo dann die Überlegenheit leicht ist. Ich denke aber, er wird sich künftig mehr zusammennehmen, wozu ihn die Tübinger Lehrstelle ohnedieß auffodern muß. Es ist ganz etwas anderes, gleichsam als Privatmann philosophiren und den Beruf des Lehrers erfüllen. Da reicht man mit Manchem nicht aus, das zu Haufe ganz leidlich aussah. Es sollte mir sehr leid thun, wenn E˖[schenmayer] übel von meiner Antwort afficirt wäre; denn er ist übrigens ein sehr achtungswerther Mensch und feiner Kopf.

Ob ich Dir, liebster Freund, die folgenden Hefte in der Reihe werde zuschicken können, weiß ich in dem Augenblick noch selbst nicht; ich muß erst nachsehen über wie viele Ex˖[emplare] ich zu disponiren habe. Du weißt bey (Fortgehenden) Zeitschriften sind die Verleger karg mit Freyexemplaren. Doch das Mögliche soll gewiß geschehen.

Nun da fast kein Raum mehr ist, muß ich Dir doch noch Glück wünschen zu Deinem häuslichen Segen. Dafür halte ich Kinder im eigentlichen Verstand. Meinen kleinen Pathen werd’ ich ja wohl einmal sehen und segnen können, wenn auch nicht dieß Jahr.

Nun leb wohl, liebster Freund, mit Deinem Weib und Kindern; sey fröhlich in Deiner Stille, nah der Natur, und gedenke meiner in Freundschaft.
Dein
treuer

Fr. Schelling.

N.S.

Beim Einpacken fürchte ich doch, der Brief möchte zu dick werden. Ich sende Dir daher ein Paar Ex˖[emplare] unter Kreuzband, wo wenigstens bey uns die Hälfte des Porto erspart wird.