München, den
Es ist nicht Mangel an freundlichem Andenken, daß ich Ihnen, geliebter Freund, so lange nicht geschrieben. Es ist mir beinahe mit allen Freunden so ergangen. Mein Kopf ist so eng, daß wenn mich eine Sache recht beschäftigt, ich an nichts Anderes, auch das Liebste nicht denken kann. Ich hoffte immer mein Werk bald zu vollenden, aber der Gegenstand ist zu groß, der Arbeit zu viel, und mancherlei körperliche Beschwerden, obgleich ich gesund im Ganzen, verzögern die Ausführung. Sie, mein lieber Freund, scheinen den Gegenstand dieses Buchs sehr wohl aus der letzten Abhandlung herauscalculirt zu haben, was Wenige gethan, da sich die Meisten die seltsamsten Vorstellungen davon machen, wobei ich sie eben so gern lasse, als Manche, die da meinen, weil ich so lang nichts geschrieben, müsse es gar aus sein. Bitten Sie Gott, lieber Freund, daß er mir Kraft und frischen Muth besonders gegen die Anwandlungen einer sonst ganz unbekannten hypochondrischen Laune gebe, und es wird ein Werk hervorgehn zur Freude aller aufrichtigen Freunde und zur Beschämung aller Feinde. Hilft Gott, so kommt es nun ganz gewiß zu . Ich mag es nicht theilweise herausgeben, sonst hätten zwei Bücher schon ein Jahr früher erscheinen können. – Was treiben oder vielmehr was treibt Sie? Kommt wohl Ihr Werk über Magie bald zu Stande? Es interessirt mich in gar vieler Hinsicht, auch weil ich nach dessen Vollendung Sie gern für einen gemeinsamen Plan in Anspruch nähme. Es muß wieder einmal etwas Durchgreifendes geschehen; über die Art und Weise habe ich meine Gedanken in der langen Zeit ziemlich berichtigt. Nähere Mittheilung, sobald ich wieder Herr meiner Muße bin!
Welcher Teufel besitzt denn den Jen˖[aischen] Redacteur? Steckt der kleine Oken dahinter, der sich sogar gegen Goethe mausig macht? – Menschen der Art schaden der guten Sache weit mehr als die erbostesten Feinde. Ich lese sonst keine Lit˖[eratur] Zeitung; aber zufällig sah ich vor einigen Tagen seine Antwort auf Walther’s Empörung und die Herzählung einiger weniger seiner in die Hundert, ja Tausend gehenden Entdeckungen, wonach ich nun fast eine totale geistige Katastrophe bei ihm fürchte.
Nächstens erscheint oder ist schon erschienen: Ueber die göttlichen Dinge und deren Offenbarung von Herrn Präsident Jacobi. Es ist schwer abzusehen, wie die göttlichen Dinge Zeit gefunden, bei einem so viel und so gar nicht göttlich beschäftigten Manne vorzukommen. In den Vorzimmern und an den Speisetischen der Großen haben sie ihn doch gewiß nicht aufgesucht. Es liegt in diesem Manne, der die Welt trefflich zu täuschen verstand, eine unglaubliche Anmaßung sammt verhältnismäßiger Leerheit des Herzens und Geistes, die man aus sechsjähriger Anschauung kennen muß, um sie zu begreifen. Unstreitig wird der Welt wieder die heillose Lehre des Nichtwissens vorgepredigt, mit frommen Verwünschungen der Gottlosigkeit unseres Pantheismus und Atheismus. Ich wünsche sehr, daß ihm von mehreren Seiten begegnet werde. Er hat unglaublichen Schaden gestiftet und stiftet ihn noch. – Auch unsere Zeit bedarf etwas ganz Anderes als das kahle Nichtwissen. Darin liegt sie ohnedies, und solche Lauheit, Herz- und Charakterlosigkeit, womit sich allein das Verzichten auf Erkenntnis und feste Ueberzeugung vom Gewissesten und Höchsten verträgt, ist eben die Ursache ihres Unglücks. Finden Sie Gelegenheit, auch ein kräftig Wort darüber auf Veranlassung jener Schrift zu sagen: so werden Sie der guten Sache den größten Dienst leisten.
Leben Sie wohl, grüßen Sie die Ihrigen, und behalten Sie mich in Liebe, wie ich Sie.
Ihr
Schelling.