Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Was mögen Sie von mir denken, hochverehrter Herr und Freund, daß ich für ein abermaliges kostbares Geschenk, welches ein Brief vom begleitete, bis heute nicht gedankt habe? Mögen Sie also wenigstens in Bezug auf das Letzte meine Entschuldigung annehmen, welche darinn besteht, daß der junge Feuerbach, dem Sie dieses Paket für mich übergaben, für gut gefunden, unter einem nichtssagenden Vorwande mir dasselbe erst um die persönlich einzuhändigen, wo ich grade sehr stark beschäftiget war und keine Zeit zum Briefschreiben gewinnen konnte. Meine große Schuld gegen Sie hat sich durch die beiden Theile des Proclus und den 5. Theil der Symbolik in einem Grade vermehrt, daß ich billig zweifeln muß, dieselbe jemals abtragen zu können. Ich werde nun versuchen, mich mit Ihrer Hülfe auch in diesen Institutionem theol˖[ogicam] des Proclus hineinzuarbeiten, wiewohl ich nicht läugne, daß ich mich vor der Eintönigkeit der Darstellung und dem Dogmatischen des Vortrags einigermaßen fürchte. –

Was sagen Sie zu Herrn Sickler? Ihre Hoffnung wenigstens, ihn durch sanfte Ermahnung ad meliorem frugem zu bringen, scheint mir nicht in Erfüllung gegangen. Ich wundre mich darüber nicht, denn so lang’ und so weit ich ihn nur kenne, gehört er zu der Art, deren Unwissenheit nur von ihrer Unverschämtheit übertroffen wird. Mir war Paulus’ Recension in so weit ganz erwünscht, als ich durch sie wenigstens von Sickler wegkomme. Was meine Erklärungen betrifft werde ich sie gelegenheitlich, wie ich glaube, gehörig zu schützen wissen. Die Sickler’schen sind noch viel zu weitläuftig und in sofern zu gelinde behandelt, denn alle (nicht eine vielleicht ausgenommen) sind philologisch-unmöglich und dem untergelegten Begriff nach theils gradezu abgeschmackt, theils in hohem Grade geistlos; auf jeden Fall – nicht wie man zu reden pflegt sondern in der That und Wahrheit unter aller Kritik. Ich erlaube mir, den Wunsch zu äußern, daß in der französischen Übersetzung die sämmtlichen Anführungen Sickler’scher Erkl˖[ärungen] wegfallen mögen – geben Sie, verehrter Freund, nur immer auch den meinigen den Abschied!

Noch im Laufe dieses Jahres hoffe ich Ihnen meine Vorlesungen über Mythologie gedruckt übersenden zu können, durch welche sich manches Andre, aber besonders auch unsre Einstimmung und Nichteinstimmung über manche Puncte, wie ich denke, deutlicher erklären soll.

Erhalten Sie mir inzwischen Ihre Gewogenheit und freundschaftliche Gesinnung, wie ich Sie bitte, von der innigen Verehrung stets überzeugt zu seyn, mit welcher ich verharre
g[anz] der Ihrige

Schelling.