Saarbrücken im Großherzogthum Nieder-Rhein den .
Indem ich dem Manne persönlich zu nahen im Begriffe bin, den ich schon lange im Stillen Verehrung, Liebe, Bewunderung zollte; indem ich es wage, Ihm eine Schrift zu überreichen, die wiewohl aus meinem innersten Streben hervorgegangen, ich doch selbst für höchst unvollkommen und mangelhaft erklären muß, will mich beinah dieselbe Scheu zurückhalten, die es mir schon früher verbot, mit Dank und Verehrung vor Sie zu treten, wie es so oft mein Wille war. – Dennoch nahe ich Ihnen mit ganzem Vertrauen, mit vollkommener Hingebung: der Genius, der so selbstschöpferisch und vielseitig sich durchbildet, dem keine Tiefe des Denkens wie kein Winkel des Gemüths undurchforscht geblieben ist, wird auch aus dem unsicher Angedeuteten und schwankend Durchgeführten des Werks schon zu entdecken vermögen, ob wenigstens der Hoffnung Etwas darin enthalten sey, was dereinst klarer und entwickelter die Wissenschaft zu fördern vermöge. Und eben in diesem Sinne wage ich, Ihnen vor Allen jene Schrift vorzulegen, ja Sie zu bitten, den Hauptgedanken derselben einer Prüfung zu unterwerfen, die, entweder mich bestätigend oder zurückweisend auf dem betretenen Wege, mir das Wichtigste seyn muß, was mir überhaupt nur dargeboten werden kann. Ich habe darin mich nämlich bemüht, den Widerspruch im Begriffe des endlichen Daseyns in Beziehungen und Rücksichten nachzuweisen, auf die die gewöhnliche Metaphysik bisher weniger aufmerksam gewesen seyn möchte, und in deren Enthüllung doch erst das wahre Mysterium der Spekulation wie das eigentliche Geheimniß alles Lebens sich zu eröffnen scheint. Wohl kenne ich die gewöhnliche Antwort, die die Spekulation auf die Frage nach dem Ursprunge der endlichen Dinge giebt, wie sie unter andern auch von Hegel auf das Entschiedenste ausgesprochen worden: daß das Endliche an sich in keinem Sinne sey, daß es, als einzelner Moment der absolut schöpferischen Idee, eben darum als das an sich Unzulängliche unmittelbar aufgehoben werde, um sich ein Anderes Einzelne entgegenzusetzen, und daß dieser unendliche Proceß des Setzens im Aufheben und des Aufhebens im Setzen die absolute Form der ewigen Idee, der »unendliche Rhythmus des göttlichen Lebens« sey. Aber jenes absolute Werden, jener Proceß des unendlichen Setzens und Aufhebens ist an sich ein schlechthin Zwieträchtiges, in einem Widerspruch gegen sich selbst befangenes: es ist unendliche gegen sich ankämpfende Thätigkeit ohne wahrhafte That, unendliches Selbstnegiren, das, wird es einmal gesetzt, nicht zum Unbedingten und Letzten gemacht werden kann, sondern selbst eines höhern Princips, eines Ableitungsgrundes, kurz irgend einer Erklärung bedürfen sollte; oder, im andern Falle, müßte man überhaupt jede eigentlich metaphysische Erkenntniß für unerreichbar erklären. – Aber jenes absolute Werden, auch nur also gefaßt, ist selbst ein widersprechender, sich aufhebender Begriff. – »Das Absolute, wird gesagt, ist das schlechthin Schöpferische, das Unendliches auf unendliche Art aus sich hervorruft; und eben darin ist es nicht todt-abstraktes Seyn, vielmehr lauteres, aus sich selbst sich entwickelndes Leben: aber darin liegt zugleich nothwendig die negative Seite an ihm, indem das unendlich Schaffende die einzelnen Momente des Schaffens unmittelbar aufheben muß, und es so nothwendig aufhebend wird im Setzen, so wie setzend im Aufheben«. Aber also gefaßt, ist das Absolute weder schöpferisch noch vernichtend, es ist bloß wechselnd und wandelnd: es erzeugt wahrhaft Nichts und hebt darum, in Wahrheit auch Nichts auf, indem eigentlich Nichts ist, als einzelne, durch und durch verfließende Momente – Scheinexistenzen des unendlichen Wandelns, an denen schlechthin nichts Bestehendes ist, als dieser ewige Wandel selbst. Durch diese Ansicht ist aber alle eigentliche Wirklichkeit, das Seyn überhaupt ausgetilgt und vernichtet; die Dialektik hat diesen Begriff gleichsam völlig zersetzt und verflüchtigt in sich: das Seyn ist durchaus nur unendliches Werden; sein innerer Kern, die ruhende ewige Wurzel alles Werdens hat sich selbst in’s Werden gleichsam aufgelöst: (oder nach mathematischem Formalismus ausgedrückt: da das Produkt im Einzelnen ewig nur = 0 x 0 x 0 ∞; so muß das Produkt im Ganzen und Unendlichen auch seyn = 0.) Das unendliche Werden ist daher selbst nur ein einseitiger mangelhafter Begriff, und inwiefern bei ihm in seiner Einseitigkeit und Abstraktion stehen geblieben wird, sogar ein widersprechender Begriff; es ist darin das Princip absoluter Endlichkeit, des unendlichen Nichtseyns ausgesprochen, das um seines innern Widerspruches willen in einer umfassenden spekulativen Ansicht, wenn auch nicht abgeleitet, doch irgendwie erklärt werden muß, keinesweges aber bei ihm als Unbedingtem und Letztem stehen geblieben werden kann. Und diese, wiewohl nicht überall enthüllte, Betrachtung möchte es seyn, die den gewöhnlichen Klagen gegen die bisherige Metaphysik über Vermischung des Endlichen mit dem Ewigen, über Weltvergötterung und dgl. verborgene Nahrung und einiges Gewicht geben möchte, weil hier das Absolute als das unendlich sich Verendlichende, als Princip des Nichtseyns begriffen, und dabei als dem Letzten stehen geblieben wird. Aber eben so läßt es sich durchaus erklären, wie die größten Denker seit Herakleitos dieses Widerspruchs in ihrem Begriffe des Absoluten weniger inne wurden, weil sie, ihre tiefste Anschauung erfüllt von dem Gedanken des Ewigen und unendlich Realen, in jenen dialektischen Formen sein unerschöpfliches, positives Leben gleichsam nur äußerlich darzustellen, darin Wort und Ausdruck für ihre innerste lebendigste Anschauung zu finden suchten; und diese Anschauung wurde ihnen gleichsam die erfüllende Garantie für die Negation und Vernichtung, die sich am Einzelnen freilich ohne Ende ihnen wiederholte. –
Dies, was ich hier in der Kürze und vielleicht nicht zum Glücklichsten andeutete, versucht der erste mehr dialektische Theil beiliegender Schrift (§. 6-20.) nach allen Seiten hin darzustellen, und dadurch sich Bahn zu brechen zu einer etwas veränderten Bezeichnung des höchsten Problems der Spekulation, welches, abstrakt gefaßt, etwa so auszudrücken wäre: Es sey die Aufgabe, den Begriff des Seyns (der Wirklichkeit) dialektisch zu entwickeln und den darin enthaltenen Widerspruch zu lösen. – Die Antwort übrigens auf jenes Problem scheint mir schon in den ältesten religiösen Lehren des Menschengeschlechts, so wie in dem, was ich als den eigentlichen metaphysischen Kern des Christenthums erkenne, ausgesprochen: daß – um mich symbolisch mit jenen Lehren auszudrücken – die ganze Form dieser Endlichkeit Folge eines Abfalls, einer Schuld, Produkt falsch isolirter Freiheit, – das sey, was eben deßhalb in Wahrheit nicht sey, oder nicht seyn »solle«. – In diesem Verläugnen und Vernichten des dennoch uns unmittelbar Gegenwärtigen und Wirklichen – der Endlichkeit und ihrer ganzen Form, sehe ich das ungeheuer Paradoxe jener Lehren, aber zugleich das eigentlich Tiefe, Geheimnißvolle derselben, das wie eine höhere Offenbarung, ein Wort von Jenseits unserm Geiste eingeboren ist, aber das, was dialektisch eigentlich noch unverstanden geblieben seyn möchte, wiewohl nur dialektisch; da vielmehr jede höhere Ahnung des Geistes, jeder Aufschwung von Gemüth wie Phantasie nur jene Wahrheit meint und sich auszusprechen sucht, und darin eigentlich das Wort aller Räthsel liegt, die unser irdisches Daseyn umgeben.
Ich vermuthe, daß meine Schrift bei dem großen Haufen gewöhnlicher Beurtheiler die schon in irgend ein festes System eingeschlossen sind, wahrscheinlich sehr ungünstige Urtheile, vielleicht unbedingte Verwerfung erfahren wird: so wenig mich dies nun als etwas Vermuthetes eigentlich bekümmern würde, so kann ich doch eben doch deßwegen auch wenig eigentliche Belehrung und unbefangene Aufklärung über meinen wissenschaftlichen Standpunkt von jener Seite her erwarten. Von desto größerer, ja entscheidender Wichtigkeit würde es für mich seyn, innig verehrter Mann, wenn Sie es nicht verschmähten, mir mit Ihrem Urtheile und Ihrer Prüfung erleuchtend entgegenzukommen: auch das kürzeste Wort würde mir von Wichtigkeit seyn; und Sie werden an mir den gelehrigsten Schüler haben, der des leisesten Winkes achten und ihn zu verstehen suchen wird.
Ich muß um Vergebung bitten, daß ich so rückhaltlos mich zu eröffnen, so zudringlich zu begehren wage: aber wenn irgendwo die gewöhnlichen Rücksichten schweigen, und das reine Verhältniß der Geister in sein Recht treten sollte, wäre es nicht da, wo der Jüngling lehrbegierig dem großen Manne sich naht, wo die Liebe und Verehrung ganz sich hinzugeben trachtet? Und dies feste unbegränzte Vertrauen in Sie hat dem Zögernden Muth gegeben, und ihn mir erhalten, während ich schrieb. –- Aber auch ein äußerlicher Umstand, indem er mich auf Sie verweist, giebt mir gleichsam das Recht, Ihre Aufmerksamkeit für mich in Anspruch zu nehmen. Bei einem Besuche im vorigen zu München wurde mir von dem Minsterialrath von Schmidt die Aussicht eröffnet, daß es nicht unmöglich sey, zu einer Professur der Philosophie in Erlangen befördert zu werden. Ich äußerte, daß ich bei dem zunächst zu führenden Beweise meiner Qualifikation zu einem solchen Lehramte es auf Ihr und Herrn Professor Mehmels votum ankommen lassen wollte, denen ich ohnehin und unabhängig von dieser Rücksicht meine so eben erscheinende Schrift vorzulegen entschlossen war. Herr von Schmidt schien dies zu billigen; und auch jetzt, nachdem die Administration verändert worden, rathen mir meine wohlwollenden Freunde in München, meine Hoffnungen nicht ganz aufzugeben, und ausser jenem Schritte auch ein officielles Gesuch in M˖[ünchen] zu versuchen. Ich habe in meinem Briefe an Herrn Prof. Mehmel weitläuftiger dargelegt, – was hier Ihre schon unmäßig in Anspruch genommene Geduld zu sehr ermüden würde, – warum mir jene Aussicht unter den gegenwärtigen Verhältnissen in meinem Staate zu wichtig sein müsse, um sie nicht nach Kräften zu verfolgen: ich habe Ihn gebeten, falls sein Gewissen es erlaube, und die sonstigen Verhältnisse es zulassen, im Falle einer Vakanz oder der Errichtung einer neuen Lehrstelle, auch mich in Vorschlag zu bringen, und so mein eigenes Gesuch in München zu unterstützen. Darf ich dieselbe Bitte, eben so modficirt, auch an Sie richten, verehrtester Mann? – Sollte jene Aussicht sich realisiren, so würde zugleich mein alter langgehegter Wunsch dadurch erfüllt, in Ihrer Nähe zu leben, und, was dem sich bildenden Jünglinge das Wichtigste seyn muß, eines Leiters und Lehrers auch zu erfreuen; zugleich genösse ich des Vortheils unter den Augen älterer Freunde und von Ihrem Rath und Ihrer Erfahrung unterstützt, meine akademische Laufbahn beginnen zu können. Kurz, Alles was mich begeistern, was meine Hoffnung steigern, was mich wie zu einem neuen bessern Leben aufrufen könnte, zeigt sich in jener Aussicht vereinigt.
Doch wie die Zukunft sich auch gestalten möge, jetzt befriedigt es mich vollkommen, daß ich bei dieser Gelegenheit mich Ihnen nahen durfte, und die Gefühle meiner innigsten und langgehegten Verehrung Ihnen darzubringen vermochte, die ich mit Geneigtheit und Wohlwollen Sie aufzunehmen bitte.
Immanuel Herrmann Fichte Dr. phil.,
Professor und Oberlehrer der alten Sprachen am Gymnasia zu Saarbrücken.