Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Liebster Karl!

Ich danke Dir herzlich für Deine treue Theilnahme an meinem Befinden und Deine Verordnungen, von denen ich mir alles Gute verspreche; denn so lang’ das kalte Wetter dauerte wollte ich die neue Medicin nicht nehmen; erst gestern nahm ich zuerst die Pillen und habe inzwischen wenigstens gefunden, daß ich sie wohl vertrage. Aber es handelt sich jetzt weniger von mir, mein Übel ist erträglich und ohne Gefahr, dagegen ist der Zustand meiner guten Frau jetzt bedenklicher und ängstlicher als ich mir fast selbst gesteh’n mag. Du erinnerst Dich Ihres Anfalls im , sie bekam unversehns in der Nacht heftige Schmerzen im Unterleib, Kolik- oder Krampfartig, im Anfang jedoch ohne Fieber. Der Arzt erschien und nach seiner Meynung die Sache kurz abzumachen gab er ihr 1/2 oder fast ganzen Löffel reine Tinctur theb[aica]. Die Schmerzen nahmen darauf zu und in der Nacht kam auch Fieber. Nun wurde das ganze für eine Darm- oder Bauchfells-Entzündung erklärt, hierauf eine Aderlaß zu 8–10 Unzen angeordnet; da auch hierauf die Schmerzen nicht nachließen, außer Sinapismen auch noch 9 oder 10 Blutigel auf dem Unterleib! Jetzt hörten die Schmerzen auf, aber die Kranke war über die Maßen geschwächt und konnte sich seitdem nie ganz erholen. Dabey hatte sie sich während jenes ersten Anfalls im 3ten Monat der Schwangerschaft befunden, was man freylich so genau nicht wußte. So schleppte sie sich fort, in einer Art von beständigem febrilen Zustand bis in den 7. Monat, wo neuerdings Schmerzen eintraten, freylich mit Remissionen aber die doch im Ganzen fortdauerten. Der Arzt ohnerachtet alles, was man dagegen sagen mochte, wollte einen Abortus besorgen, und wenig fehlte, so hätte man die arme Frau abermals zu Ader gelaßen. Doch erhielt sie eine Mixtur mit Spir˖[itum] Vitr˖[iolum], was ich leider zu spät bemerkte, die nun vollends ihr Verdauungssystem destruirte. Von dieser Zeit gesellten sich zu den andern Symptomen Nachtschweiße, beständige warme Hände, unausgesetzt febriler Zustand. Die Ereignisse im Breyer’schen Haus waren auch nicht gemacht, sie aufzurichten. Doch konnte sie immer noch dabey ausgehen, und der Arzt erlaubte ihr sogar auszufahren. Das einzige Mal, daß dieß geschah, mußte sie sich einem Regen aussetzen, bekam hierauf Durchfall mit starkem Tenesmus. Dieses wurde wieder gestillt durch eine Arzney von Cort. ### Aqu. ceras˖[orum]. nigr˖[orum] und etwas Tinctura theb[aica]. Ja der Fortgebrauch dieser Medicin hob ihre Gesundheit im Ganzen wieder, wahrscheinlich weil sie doch einigermaßen stärkend war. Die Nachtschweiße hörten auf, die Hände waren den Tag über weniger heiß und der febrile Zustand verminderte sich. Jetzt hat der Arzt diese Medicin ### lassen, und ihr verordnet, bloßes Decoct von China zu nehmen. Allein sie scheint dieß nicht zu vertragen, ohne Zusatz, das Fieber ist wieder stärker, auch die andern Symptome scheinen wieder hervortreten zu wollen. Was meine Ansicht betrifft, so füchte ich, daß der erste Anfang keine Entzündung, sondern eine bloße sehr starke Indigestion war, um so mehr als sie diese sich auf jeden Fall zugezogen hatte. Die unrechte Behandlung dieses Zustandes, die fortgesetzte Vernachläßigung bey der Gewissenlosigkeit unsrer Ärzte, die nur von ihrer Gedankenlosigkeit übertroffen wird, scheinen die assimilativen und productiven Kräfte der Kranken geschwächt zu haben; auch Form und Art der Excremente deutet auf eine schlecht behandelte Unterleibs-Krankheit, der Urin ist fortwährend tief braun oft schwärzlich; kurz ein Unterleibs-Zehr Fieber scheint entweder bereits vorhanden, oder doch, nach der neuen großen Entkräftung, die ihr durch die Entbindung (Ende dieses ) bevorsteht, unvermeidlich und zwar verbunden mit einem Grad schon vorhandener Schwäche, daß ich nicht weiß, wie sie ohne besondere Hülfe dieß alles überstehen soll. Hätten wir bey dem allem gewissenhafte und geschickte Ärzte, so würde ich nicht verzweifeln; aber ihre Heilkunst besteht darinn, acute Krankheiten in chronische zu verwandeln und dann den Kranken zu verlassen. Wenn der Arzt etwas verschrieben hat, so fragt er nicht nach, wie seine Verordnung anschlägt, 8–14 Tage vergehen oft, eh’ er nur wieder kommt und auch daß oft nur, wenn geschickt wird. – Ich schreibe Dir dieß alles nur, damit Du weißt wie es bey mir steht, vielleicht auch daß Du im Stande bist, mir einen guten Rath theils für jetzt noch (denn bey der Nähe ihrer Entbindung ist keine Zeit zu verlieren) theils für den Zeitpunct unmittelbar nach der Niederkunft zu ertheilen. Ich weiß und bin von Deiner brüderlichen Liebe überzeugt, daß, so viel dieß nur immer möglich ist, Du es mir nicht versagen wirst. Und gerne würd’ ich Dir danken, wenn Deine Zeit erlaubte, dieß in einem ostensibeln Briefe zu thun, den ich dem Arzt (es ist der Dr. Loë, den Du bey Breyer geseh’n) zeigen könnte; es ist ja ganz unverfänglich, daß ich Dir über den Zustand meiner Frau schreibe und Du Deine Gedanken darüber mittheilst. Vielleicht machte ein solcher Brief ihn doch einiger maßen aufmerksam und rührte sein Gewissen. Du wirst Dich vielleicht wundern, daß ich ihn nicht gradezu abdanke und einen andern nehme. Allein die andern alle sind um nichts besser; Loe, Schwiegersohn von Harz, den man nicht beleidigen kann, theils weil er doch immer noch der Geschickteste, und weil er im äußersten Nothfall denn auch noch zu haben ist, theils weil die andern Ärzte alle, zu denen man etwa Vertrauen haben könnte, von ihm, als Vorstand des Ober-Medicinal-Collegiums so wie von seinem Schwiegersohn als Ober-Medizinal-Rath abhängig sind und vor beyden sich fürchten. Handle also hierinn an mir nach Deiner Treue und nach Deiner großen Einsicht. Noch glaube ich Dir bemerken zu müssen, daß während dieses Zustandes das Kind völlig wohl scheint und noch lebhafter, als seine früheren Geschwister, ja zu lebhaft für die schwache Frau sich bewegt.

Entschuldige mich bey der guten Mutter, wenn ich ihr unter diesen Umständen noch immer nicht geschrieben; ich könnte ihr ja doch nichts wie Trauriges melden.

Lebe Du wohl mit Deiner lieben Frau, und schreibe mir so bald Du kannst; weißt Du auch hier den Augenblick keinen entschiednen Rath, so laß’ mich doch wissen, was nach der Entbindung zu thun ist. Brächte ich die gute Frau nur so weit, daß sie das Wochenbett überstände, so wäre mir nicht bang; ich bin überzeugt, ein Mineral-Bad würde sie in diesem Falle bald herstellen
Dein
tr˖[euer] Br˖[uder]

Fr.