Sr. Wohlgebohrn
Herrn C.F. Schönbein
in dem Institut
zu
Keilhau bey
Erlangen .
Angenehmer hätte mir von Ihrer Seite, lieber Herr Schönbein, nichts seyn können, als die Nachricht, daß Sie Ihre dortige Stelle verlassen und nach England gehen. Ich setze voraus, daß Sie damit zugleich wieder in den Kreis Ihrer Kunst zurücktreten, den ich Sie nur mit Schmerzen konnte verlassen sehen, um einem wahren Phantom nachzujagen. Ich konnte diese Empfindung nur durch mein Stillschweigen ausdrücken, denn Sie schienen mir einer Erinnerung oder irgendwie belehrenden Warnung so wenig empfänglich und bedürftig, daß ich mir keinen Erfolg davon versprechen konnte, und vollends die Büchlein, die Sie mir schickten, in der offenbaren Meynung, als wären das Dinge, an denen ich mich auch wohl zu erbauen vermöchte, zeigten mir, wie wenig in einem längeren Umgang Sie mich verstanden hatten oder mich geahndet, so daß von keiner Seite Hoffnung war, etwas auszurichten. Nun hat Ihre bessre Natur dieß alles von selbst überwunden; Sie kehren dem leeren Geschwäz den Rücken und suchen wieder den festen Boden reeller Kunst und Wissenschaft. Willkommen denn in dieser neuen Gestalt, und sey’n Sie meines herzlichen Antheils versichert! Ich zähle mit Gewißheit darauf, daß Ihre Laufbahn in England wieder eine – nur beträchtlich erweiterte aber doch immer – practische und Chemische ist. Das unschätzbare Glück, das Ihnen zu Theil geworden, sich in Besitz einer Kunst zu setzen, die während sie einen festen Boden für das Leben darbietet oder um mich ganz gewöhnlich auszudrücken, die während sie ihren Mann, gleich Acker und Pflug, nährt, zugleich eine Grundlage abgibt, von welcher aus er sich zu den höchsten wissenschaftlichen Combinationen erheben kann, dieses Glück stoßen Sie doch ja nicht wieder von sich, um irgend einer, wenn auch scheinbar wissenschaftlichen, Eitelkeit nachzujagen, halten Sie sich vielmehr fest an diesen Grund und Boden, der in allen Fällen und unter allen Umständen Sie tragen und erhalten kann, und vergessen Sie nie, daß wenn es der Wille Gottes ist, daß Sie auch in die Regionen der höheren Wissenschaft dringen, die Vorbedingung und der wahre Weg dazu nur die tiefste, innerlichste Demuth ist. Wenn Ihre gegenwärtige Gesinnung so ist, wie ich sie mir denke, so werden Sie diese Ergießungen einer wohlmeynenden Gesinnung nicht übel deuten und auf jeden Fall wird die Erfahrung ihres folgenden Lebens sie in ihren Augen vollkommen rechtfertigen.
Wenn Sie nach London kommen, so suchen Sie sich die Freundschaft des Herrn Predigers und Secretärs der großen englischen Bibelgesellschaft Steinkopf zu erwerben; als Landsmann werden Sie keiner besondern Empfehlung bedürfen, wenn Sie ihm aber einen Gruß von mir, seinem alten Universitätsfreund, bringen wollen, so wird er ihn, ich bin dessen gewiß, mit Freuden aufnehmen. Ich zweifele nicht, daß er Ihnen in vielen Hinsichten wird nützlich seyn können.
Ist es Ihnen möglich, Briefe franco bis an die deutsche Gränze zu bringen, so wird es mich freuen recht bald das Nähere von Ihrer dortigen Lage, etwas Bestimmteres von Ihrem Geschäft und etwas Gewisseres von Ihren Aussichten zu hören.
Paul und Friz sind nun seit in Wirtemberg und waren über die Herbstferien an die 6 Wochen hier. Beyde haben sich zu meiner Zufriedenheit entwickelt. Sie haben nicht nur sehr an Kenntnissen, sondern auch an Freymüthigkeit, Gesundheit und körperlicher Kraft gewonnen und sind gesund an Seel’ und Leib’ erhalten worden. Meine Familie hat sich inzwischen wieder um einen jetzt 1 1/2 Jahr alten tüchtigen und herrlichen Knaben mit Namen Hermann vermehrt. Alle Kinder sind wohl und schreiten glücklich fort. Die Gesundheit meiner Frau ist seit Carlsbad gut geblieben; ihr Übel wie durch ein Wunder gehoben. Wir alle (auch meine Schwägerin Julie die sich eben bey uns befindet) grüßen Sie herzlich.
Nochmals den innigsten Glückwunsch zu Ihrem Vorhaben; möge alles zu Ihrem wahren Besten sich anschicken und von Statten gehen!
Mit wahrer aufrichtiger Freundschaft der Ihrige
Schelling