Schelling

Schelling Nachlass-Edition


No. 1.

Ich grüße Dich, Du liebe Seele, und schreibe Dir, daß ich 1/2 7 Uhr glücklich hier angekommen bin. Der Tag war herrlich; in den Mittagsstunden kaum die Hitze auszuhalten, und alles je weiter man gegen den Kochelsee kommt, dampfend im Frühlingsduft, obgleich die Bäume noch nirgends grün sind. Die Abhänge der Berge und die Ränder der Wiesen beblumen sich, aber die Blümchen, die ich Dir und Paulchen hier schicke, sind die ganze jetzige Flora. Die blauen sind von Wolfrathshausen, die gelben von Königsdorf, die rothen von Kesselberg. Lache mich nicht damit aus, es sind doch immer die ersten Kinder des Frühlings in dieser armen Gegend, und ich habe sie für Dich gepfückt. Der Kutscher fuhr bis Königsdorf, wo ich für 27 x. zu Mittag speißte; am Abhang der Wiesenhügel hinter den Häusern des Dorfs sieht man die Colossen zuerst recht deutlich in ihren Umrissen, auch den Landsitz der M[adam]e˖ Nappach das Kloster Beierberg und ein altes Schloß Eurasburg – es ist ein schöner Punct, wo ich Dich doppelt zu mir wünschte. In diesem Dorf bat mich der Mittewalder Bote, durch den alles, was gefahren wird, von München hieher kommen muß, ihn hinten aufsitzen zu lassen, was ich ihm bewilligte, da der Kutscher nichts einzuwenden hatte. Der hat sich dann mit Dankbarkeit erboten, alles von mir und an mich aufs beste zu bestellen. Er sagte mir, das kleine Haus sey von den Gens d’armen occupirt – doch wie sich nachher fand, nur der untere Theil und auch von diesem nur ein kleines Nebengebäude. In Kochel machten wir wieder Halt. Kommen wir zusammen dahin, so müssen wir den Weg von Kochel nach dem Joch zu Fuße machen; das ist ein einziger Anblick, noch schöner als von Stengels Hügel. Überhaupt kann ich Dir sagen – die Größe und Herrlichkeit der Berge, die Schönheit des Himmelblauen Sees hat alle Bilder, die ich davon behalten, noch immer weit übertroffen. Es ist ein herrlicher Fleck der Erde. Das liebe Kloster und die Kirche von Schleedorf sah’ ich im Schatten von ferne liegen, am deutlichsten auf einem Absatz des Kesselbergs, ich konnte nicht ohne Wehmuth hinblicken, da ich vor diesem schönen Örtchen, wo ich mit Dir war, vorbeyziehen mußte. Schon am Fuße des Kesselbergs mußt’ ich eine Strecke durch Schnee gehen; solche Stellen wiederholten sich von Zeit zu Zeit je nach dem Schatten, den Wald und einzelne Hügel werfen. Nicht ohne Anstrengung überstieg ich zu Fuß diesen wilden Berg und kam endlich auf der andern Seite in das schauerliche Thal, das wenigstens für einige Wochen mein Wohnplatz seyn soll. Vertraut mit dem Eindruck desselben war ich doch dem Schrecken nicht gewachsen. Man kann es nicht beschreiben. Von meinen künftigen Fenstern aus hat man zunächst vor sich den, wenn er ruhig ist, schwarzen, wenn er sich bewegt, metallisch oder stahlblank glänzenden See, am Ufer den dunkeln Tannenwald und hinter diesem die Berge, die wie hell polirt Silber vom Scheitel bis zum Fuß, von Schnee glänzen – denke Dir diesen wunderlichen Contrast. – Noch liegt Schnee bis in die Landstraße herein und überall am Ufer des Sees. Fast schien es, als ob ich nicht bleiben würde. Der Posthalter kam mir gleich damit entgegen, daß ein geistlicher Herr, der ehmals im Kloster Ettal gewesen, in das Haus ziehen wolle und sein Versprechen habe. Am Ende ließ er sich jedoch willig finden, der geistliche Herr kann sehen wo er unterkommt oder auch mit den unteren Stuben sich begnügen. So werde ich denn bleiben – ich gestehe Dir aufrichtig, zunächst bloß darum, weil ich hier regelmäßiger Nachrichten von Dir und den Kindern haben kann; denn übrigens gehört einige Seelenstärke dazu; man könnte sich hier wie ein Gestorbener vorkommen, der plötzlich in einer schauerlichen Gegend der andern Welt erwacht wäre. Vielleicht aber gewöhne ich mich mehr daran, als ich jetzt meyne; wenigstens werde ich recht arbeiten, etwas Andres bleibt hier nicht übrig. Inzwischen darfst Du Dir die Zimmer nichts weniger als splendid denken – zwey nebeneinander mit Einem ungeheuren Ofen, das eine etwas feucht, doch wird’s, ja es muß gehen. Noch habe ich Dir nichts von Dir geschrieben. Mein liebes Kind, ich will Dich weich machen und darum lieber weniger zärtlich schreiben, als es mir um’s Herz ist. Gott wird sich Deiner und Deiner lieben Kinder annehmen und uns wieder glücklich zusammenführen. Ich weiß zwar immer, was ich an Dir habe, aber seit ich von Dir weg bin mit dem Gedanken, eine Weile von Dir getrennt seyn zu müssen, fühle ich doppelt das Glück, das ich in Dir genieße. Du, liebe, zarte Seele hast Deinem Mann schon manches Opfer bringen müssen; bring’ auch dieses noch, künftig wird eine solche Trennung nie mehr nöthig seyn. Was Du thust, ängste Dich nicht um mich, ich habe ein Vorgefühl, daß alles gut gehen werde. Herze und liebkose die guten Kinder für mich. Ich muß jetzt schließen. Ich wollte Dir Sälblinge von hier schicken, allein der Herr Posthalter versichert, daß sie, auch gekocht, sich bis München nicht halten. Das ersparen wir also, bis Du mich abholst. Du addressirst einfach: An – – abzugeben auf dem Posthaus zu Wallersee.

Grüße schönstens die liebste Frau Dote. Es hat mich recht geschmerzt heute, nicht von ihr Abschied haben nehmen zu können. Doch sie wird auch dieses mir nachsehen, die Gute; ich hoffe, in einige Tage doch auch mit Ihr zu seyn an dem herrlichen See.

Ich bestelle Dich in Gottes Obhut; dem Kutscher habe ich nichts gegeben Dieß muß ich in Eile hinzusetzen weil er mich drängt; er verdient ein gutes Trinkgeld

Leb’ wohl, Du Liebste, Beste. Ich bin allezeit bey Dir und den Kindern.

Schelling