Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Nicht leicht erinnere ich mich seit geraumer Zeit einer angenehmeren Ueberraschung, als die mir durch Ew. Wohlgeb˖[ohrn] bereitet worden; Zuerst, indem ich vor etwa die Schrift: Philosophie der Geschichte oder über die Tradition aus dem Buchladen zur Einsicht erhielt, und je weiter ich las desto mehr einen verwandten und verbündeten Geist, zugleich aber den Mann zu vernehmen glaubte, von dessen gründlichem Wissen ich die lang gewünschten Aufschlüsse und Belehrungen über jüdische Tradition zu erhalten hoffen durfte; sodann als ich, (schon im Begriff an die Verlagshandlung um den Namen des Autors zu schreiben) dasselbe Buch als ein Geschenk des Verfassers erhielt, und so zugleich den Namen desselben erfuhr. Empfangen Sie nun zunächst meinen herzlichsten Dank, nicht bloß für das Geschenk, sondern auch für das Buch selbst, das ich ebenfalls als ein – vielen, aber insbesondere – mir geschenktes betrachte. Ich kann nicht zweifeln, daß es, (nur erst überhaupt bekannt,) von allgemeiner und heilsamer Wirkung seyn werde; das höchst belehrende seines Inhalts ebenso sehr, als die klare Auseinandersetzung, die ruhige Darlegung, und das Maas, das Sie überall in Sache und Ausdruck zu legen gewußt haben, müßte, meine ich, alle einigermaßen Unbefangene für das Werk einnehmen. Was mich betrifft, so hatte ich, (noch ehe ich Ihren ziemlich verspäteten Brief erhielt,) bey einer Erwähnung des סעיר אנכין und אוך אנכּין des Sohar, (im 3. Th[eil] meiner Vorles˖[ungen] über die Bed˖[eutung] der Mythologie) eine Anmerkung beigefügt, in der (unter gebührender Anerkenung des Werths und der Wichtigkeit Ihrer Schrift) von dem Verfasser derselben insbesondere Aufschluß über jene beyden Begriffe gewünscht wird.

Einen andern Weg mich zu äußern giebt es nicht, da ich vor jetzt wenigstens an keinem liter˖[arischen] Institut Theil nehme, und außerdem, daß mir jetzt eben vorzüglich die Zeit mangelt, durch mein langes Schweigen noch gerade eine außerordentliche Abneigung vor allen Partiellen Aeußerungen erhalten habe. Und so muß ich mir denn vor jetzt an dem stillen Vergnügen der Einigkeit in den Hauptsachen bei – wenn auch noch so großer Differenz der Ausdrucksweise genügen lassen, so wie denn an der Hoffnung, hinwiederum an Ihnen einen Leser zu finden, der auch das verschieden lautende auf denselben einigen Gründen wird zurückzuführen wissen. Ich bedauere, die Anzeige von Görres nicht lesen zu können, da hier der Katholik nicht aufzutreiben ist. Lassen Sie mich nur noch die dringende Bitte hinzufügen, daß Sie ja nicht säumen, Ihren 2. Th[ei]l˖, die vollständige Erklärung der Kabbala, mit gleicher Ruhe, Klarheit und vollständiger Auseinandersetzung zu schreiben, oder den schon geschriebenen herauszugeben.

Inzwischen grüße ich Sie als erkannter und von neuem mir nahe verbündeter Freund und bitte Sie, meiner herzlichen Freundschaft und wahren Hochachtung für immer versichert zu seyn.

Schelling